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WühltischNoten zur Schloßkunde

■ Von geilen Freiern, gotischen Holzwerken und kleinen Dieben

Die Machtübernahme für drei tolle Tage wird im ländlichen Karneval häufig durch die Aneignung eines überdimensionierten Schlüssels symbolisiert. Wer im Besitz des Schlüssels ist, hat das Sagen und vermag im Handumdrehen die soziale Ordnung umzukehren. Die Art und Weise des Verschließens lenkt den Blick auf gesellschaftliche Kräfteverhältnisse.

In der Gotik legte man vergleichsweise wenig Wert auf Sicherheit und Bequemlichkeit. Vielmehr kam es darauf an, den Dingen, mit denen man sich umgab, soviel Ausdruck wie möglich zu geben.

„Das Holzwerk einer Tür“, schreibt der Architekturhistoriker Siegfried Giedion in seinem Buch „Die Herrschaft der Mechanisierung“, „ist derb und kaum bearbeitet, aber auf die Öffnung, um das Schloß konzentriert sich die Sorgfalt des Handwerkers. Er umgibt es mit einem Rahmenwerk zarter Ornamentik, als gelte es, eine Handschrift zu illuminieren.“ Wichtiger als die Verschlußeigenschaft war die Sichtbarkeit des Schlosses. Neben den Aspekten der Macht ist die sexuelle Symbolik in der Geschichte des Schlosses kaum zu übersehen. Die Abwesenheit des Hausherren ruft die Freier auf den Plan, so daß Penelope sich schließlich gezwungen sieht, ein Bogenschießen zu veranstalten, dessen Sieger sie die Eheschließung in Aussicht stellt.

Das Jagdwerkzeug des Odysseus war der Freier Begehr. Homers Verse drücken die ganze Sinnlichkeit des Unterfangens aus:

Penelope „nahm in die rundliche Hand den schön gebogenen Schlüssel, zierlich aus Erz gebildet, mit elfenbeinenen Griffen, löste ab den Riemen sogleich vom Ringe der Pforte, steckte den Schlüssel hinein und schob wegdrängend die Riegel, mit vorschauendem Blick...“

Wie die Sache ausging, ist bekannt. Die Freier hatten den Bogen nicht raus und mußten Triebverzicht leisten. So war ihnen Penelopes Aufschließen der Kammer der einzige Höhepunkt.

Die Freier der Penelope fallen mir ein, wenn ich junge Männer sehe, die ihre Schlüssel mit einem Karabinerhaken am Hosenbund befestigt tragen.

Solch juvenile, protzige Geste verweist zurück in eine Zeit, in der man noch nichts von einem Zwei-Sicherheitszonen-Schließsystem kannte. Der massive Messingzylinder mit achtfachem Aufbohrschutz pro Seite ist ein echtes Stück feinmechanischer Präzisionsarbeit.

Die kodierte Seitenfräsung ermöglicht beinahe unbegrenzte Schließkombinationen, jenes schwer begreifliche Wunder, daß für viele Schlösser ein einziger Schlüssel ausreicht. Der Schlüsselbund als Phallussymbol hat mit dem neuen Türsicherheitssystem TSM 500 gänzlich ausgedient. Statt eines Schlüssels öffnet ein vier- bis sechsstelliger Nummerncode die Tür. Hat man den persönlichen Nummerncode eingegeben, prüft die Elektronik, ob man zutrittsberechtigt ist. Ist die Eingabe korrekt, werden die Schloßsperren elektromagnetisch neun Sekunden lang entriegelt, und man kann den Türknauf drehen.

Solch ein perfektes System hätte einen Berliner Einbrecher vor einer großen Verlegenheit bewahrt. Das kaum hinreichende Schloß einer Wohnungstür hatte er noch mühelos geknackt. Als die Bewohnerin unverhofft nach Hause kam, verließ er fluchtartig die Wohnung.

Sein Problem war, daß inzwischen die große Eingangstür mit dem berühmten Berliner Durchsteckschloß zugesperrt worden war. Es half alles nichts. Der Mann mußte die alte Frau noch einmal belästigen, damit sie ihm den Weg in die Freiheit der dunklen Kreuzberger Nacht öffnet. Aus Dankbarkeit gab er ihr die zuvor entwendeten Gegenstände zurück.

Harry Nutt

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