Wühltisch: Gescheiter Wohnen
■ Zur rechten Verwendung überschüssiger Bildungsreserven
Die achtziger Jahre sind vorbei. Nun auch in der Einrichtungsbranche. Das auffälligste Indiz dafür ist die Geschäftsaufgabe des Berliner Möbelhauses Schneller Wohnen, das als Erfolgsgeschichte seiner Zeit Sitzkomfort und Lebensgefühl auf kongeniale Weise in Gewinn umzumünzen verstand.
Das Anleitungsdilemma der Ikea-Jahre weit hinter sich lassend, verband Schneller Wohnen Italo-Design und westfälische Solidität – Lieferung und Aufbau gegen einen kleinen Aufpreis.
Das konnte, zugegeben, auch schon einmal etwas länger dauern, aber Schneller Wohnen war nicht weniger als die Kombination eines Rock'n'Roll-Zitats („live fast, die young“) mit der demonstrativen Gewißheit, sich den etwas kostspieligeren, keineswegs teuren Schick auch leisten zu können. Ein von Ikea erzwungener Distinktionsgewinn gewissermaßen.
Am Ende stellte die Firmengeschichte von Schneller Wohnen so etwas wie ein wirtschaftliches Supplement dar, das die Entwicklung von einer geistigen Unbehaustheit bis zu gediegeneren Formen der Seßhaftigkeit durchlief.
Spätestens seit die Apfelsinenkisten aus den Wohngemeinschaftsfenstern flogen und der Trödelmuff auf dem Sperrmüll landete, ist es ein Gemeinplatz, daß sich an Wohnmöbel recht gut auch geistige Haltungen ablesen lassen. Die wollen gepflegt sein oder besser: ausgebildet. Genau daran arbeitet jetzt ein Unternehmen der holzverarbeitenden Industrie.
Geistreicher statt schneller wohnen lautet konsequenterweise die Devise des Wohnmöbelherstellers Domicil aus Weingarten am Bodensee. Für den besseren Absatz von Futon und Regal sollte keine Geistesanstrengung zu groß sein. Das verstellbare Lattenrost braucht bessere Argumente. Der studierte Arbeitssuchende wird einfühlsam auf sein neues Feld und die lieben Kollegen eingestimmt: „P.S. Keine Angst, Sie treffen bei uns schon heute Kunsthistoriker, Romanisten, Theologen, Historiker und Pädagogen unter den Verkaufsprofis“, heißt es am Ende einer Stellenausschreibung in der Zeit.
Das beruhigt ungemein und in doppelter Hinsicht. Theologischer Beistand beim Probeliegen und Handreichungen zur kulturgeschichtlichen Entwicklung von Kommode und Klappbett liegen voll im Trend zu der von Bundespräsident Herzog immer wieder geforderten Kunst des Dienens. Vorbei die Zeit muffeliger Verkaufsknechte, die nicht bei der Mittagspause gestört werden möchten. In die schnöde Welt des Äquivalententauschs kommt wieder mehr Esprit. Unterhalten Sie sich in der Parfümerie beim nächstenmal doch einmal mit der Olfaktorin über Gender studies oder Lastenausgleich. Das setzt das Herabwürdigende des profanen Warentauschs in ein völlig neues Licht.
Die andere Beruhigung betrifft natürlich uns Akademiker, die wir nach jahrelangem Leiden an unserer offensichtlichen Nutzlosigkeit wieder an neue Betätigungsfelder herangeführt werden. Vom Magister empfohlen, die vielseitige Klappcouch. Domicil geht völlig neue Wege und verfügt schon jetzt über Kunden, die das zu schätzen wissen. „Wir sind Einrichter auf hohem Niveau“, heißt es dazu in der Domicil-Stellenausschreibung in der Zeit. „Unsere Kunden sind unsere Leistungsträger, die bei uns als Gesprächspartner hochengagierte und motivierte Menschen mit gutem Geschmack und Feingefühl suchen, mit denen sie anspruchsvoll und in engem Vertrauensverhältnis kommunizieren können. Wir wollen mit Lust und Freude erfolgreich sein. Dies geht ohne Hierarchie bei freier Entfaltung jedes einzelnen.“ Auf derlei prosaische Weise und ziemlich trendy verbindet sich in solchem Firmenlatein der Sound der Selbstverwirklichungsfloskeln mit der Rationalität, die die neunziger Jahre vom heutigen Wirtschaftsbürger fordern. Harry Nutt
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