Wowereits Kurzsichtigkeit hat gesiegt : KOMMENTAR VON MATTHIAS LOHRE
Auf den ersten Blick hat Klaus Wowereit bei der Wahl seines Koalitionärs die sichere Variante gewählt. Weitere fünf Jahre will Berlins Regierender Bürgermeister mit der Linkspartei zusammenarbeiten. Seit 2002 haben sich die Postsozialisten als gefügig und verlässlich erwiesen. Gegen die eigene Wählerklientel hat die Linkspartei soziale Einsparungen, Unternehmensverkäufe und Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst mitgetragen. Doch dafür haben ihre Wähler sie am Wahltag vor zwei Wochen bestraft. Ein bloßes „Weiter so“ im Senat wird die Partei nicht mittragen können, die Linkspartei braucht linkes Profil. Die Entscheidung für die waidwunde Partei ist deshalb kurzsichtig: Weder Berlin noch Wowereit wird sie viel nützen.
Das mit 60 Milliarden Euro verschuldete Bundesland braucht dringend Ideen, die über bloßes Sparen hinausgehen. Die selbstbewusste SPD will dafür nicht sorgen, die geschwächte Linkspartei kann es nicht. Ihrem Profilierungsdrang steht ihr geschwundener Einfluss entgegen. Einer vor allem aufs Sparen gerichteten SPD muss sie vermitteln, dass Kürzungen allein nicht reichen. Investitionen in wachsende Industrien wie die Medien-, Umwelt- und Gesundheitswirtschaft können Arbeitsplätze schaffen. Dass kühne Pläne trotz einer knappen Ein-Stimmen-Mehrheit umgesetzt werden, ist unwahrscheinlich.
Auch Klaus Wowereit wird die Entscheidung für Rot-Rot womöglich bald bereuen. Den 52-Jährigen zieht es in die Bundespolitik. Selbst die SPD-Kanzlerkandidatur 2009 oder 2013 scheint sich der lang als provinziell Verschriene zuzutrauen. Ärgster innerparteilicher Konkurrent ist derzeit sein rheinland-pfälzischer Amtskollege Kurt Beck. Der kann mit einer absoluten Mehrheit und langer sozialliberaler Koalitionserfahrung punkten. Und Wowereit?
Der hat seine Chance verspielt, sich durch ein Votum für Rot-Grün auch bei konservativeren Wählerschichten Sympathien zu machen. Stattdessen hat der Berliner sein Image eines Sozialistenlieblings verfestigt. Mehrheitstauglich ist das auf Bundesebene in absehbarer Zeit nicht. Dem steht auch eine Lafontaine-feindliche SPD entgegen. Wowereits Entscheidung für Rot-Rot wird man in Mainz gerne hören.