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Worksongs und Champion Mozart

■ Gespräch mit dem enttäuschten Saxophonisten Archie Shepp über alles, was vorbei ist

Archie Shepp hat Platten gemacht, die konnte man irgendwo auflegen, und jede Menge Leute wurden still und hörten hin. Musik, die das Hirn verdaute und der Magen verstand. Archie Shepp hat rüttlerische Bewegungs-Musik gemacht, intellektuell gespeist von Überlegungen aus der Black-Power und der marxistischen Szene in den USA. Am vergangenen Mittwoch gab der Jazz-Saxophonist ein eher rechtschaffenes Konzert in der Schauburg. Hinterher blieb er noch ein paar Tage in Bremen. Die taz sprach mit ihm in seinem Hotel, nach einer dreiviertel Stunde Warten:

taz: Gut geschlafen, Mr. Shepp?

Archie Shepp: Ha, wie Musiker eben schlafen.

Rauhes Leben, nicht?

Manchmal. Da ist dieses Leben, sagen wir mal: richtig un fair. Man merkt auch, es steckt Politik im Musikgeschäft. Und viel Rassismus...

Sie sind ja bekannt als Musiker, der einen politischen Kopf aufhat...

Den haben andere auch. Aber ich mach auch noch den Mund auf.

Marxismus? Vorbei!

Warum die anderen nicht?

Vielleicht, weil sie smarter sind (lacht).

In den letzten Jahren hat sich viel getan in der Politik. Es ist üblich, das zu bejubeln. Und Sie? Sind Sie traurig?

Nicht traurig. Enttäuscht.

Sie haben auf Black Power gesetzt...

Die Bewegung ist vorbei.

...und auf den Marxismus.

Vorbei.

Ganz und gar?

Es wird ein Weilchen brauchen. Die Leute werden wieder reichlich zu leiden kriegen. Und werden wieder irgendwann genug davon haben.

Schön, Sie sind enttäuscht, und Sie machen weiter Musik. Geht das gut?

Warum nicht?

Früher bekam ich immer Gänsehaut, wenn ich Sie spielen hörte. Neulich, in der Schauburg, dachte ich, der Archie Shepp tut seine Arbeit.

Und?

Eine melancholische Arbeit, eine, die nun mal gemacht werden muß.

Und? Ich habe mich geändert. Miles Davis hat sich geändert und ist populärer und macht mehr Geld denn je. Ist er der einzige, oder soll ich besser sagen, der ein

zige Schwarze, dem zugestanden wird, sich zu entwickeln? Ihr macht euch eine Konzeption, und ich soll da reinpassen? Ich habe das Recht, mich zu verändern, und ich habe das Recht, mich zu erholen. Und mich zurückzubesinnen auf meine Tradition, meine Geschichte. Und Sie kommen daher und wollen unbedingt was von mir hören, was irgendwie zeitgenössischer ist. Da haben wir so lebendige Leute wie Beethoven und Mozart, den Champion. Wieso, frage ich mich, soll Charlie Parker tot sein? Wissen Sie, ich unterrichte jetzt zum Beispiel viel an der University of Massachusetts, der Blues ist da mein Thema, die worksongs.

Wissen Sie, warum Sie Musik machen?

Nehmen Sie mein Stück „Mama Rose“. Ich schrieb es in den Sechzigern. Es geht ein Problem an, und es löst es auf. Das bringe ich auf die Bühne. Da bläst nicht einfach einer Saxophon. Ich bin ja eher ein konzeptioneller Mensch, ein Darsteller. In der Schule habe ich eine Theatergruppe geleitet. Und seitdem sehe hierhin bitte das

Foto mit dem Schwarzen

am Blasmundstück:

Archie Shepp

Archie Shepp, die erste

ich die Bühne als Szenerie, als dramatischen Raum, der kathartische Wirkungen hervorbringen kann. Und die Leute heutzutage, die kommen ohnehin weniger, um zu hören. Die wollen dich sehen, die wollen beobachten, wie du dein Mundstück aufsteckst. Ich zeige ihnen auch das, ganz bewußt.

Wo, denken Sie, tut sich jetzt was in der Musik? Wo pflanzen Sie Ihre Hoffnungen auf?

Geld. Geld bestimmt die Richtung, in die sich die Hoffnungen überhaupt noch entwickeln. Da gehen alle hin.

Und sonst?

Ich hab mir's nicht ausgesucht. Ich kämpfe und hab mir's nicht ausgesucht. Die Rolling Stones können Millionen von Dollars im Jahr machen. Ein Knabe wie ich sitzt zehn Tage in Europa herum

und hat nichts zu tun.

Träume?

Sie waren ein paar Tage in Bremen. Hat's Ihnen gefallen?

Ich hab schlechte Füße, ich bin kaum rumgekommen.

Verbittert sind Sie nicht?

Nochmal: Nein. Eher zornig, auch ein wenig gelangweilt. Die Verhältnisse sind danach. Und ich steh auch nicht mehr für mich allein. Ich habe Familie, vier Kinder, und ich habe die Erfahrung eines 53-jährigen, eines Schwarzen.

Haben Sie Träume?

(grinst und blinkert heftig mit den Augendeckeln) Ja, wenn ich so mache. Da kriegt man Visionen vor die Augen. So ist das, es ist eine Frage von rapid eye movement. Fragen: scha

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