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WohnungsbesichtigungenNacht der verschlossenen Türen

Aus der öden Wohnungssuche wollte ein Online-Vermietungsportal in Berlin ein lustiges Abendevent machen. Es hat die Rechnung ohne die Gentrifizierungsgegner gemacht.

Aus dem zähen Unterfangen, sich ein hässliches Loch nach dem anderen anzusehen, sollte ein abendfüllendes Lifestyle-Event werden. Bild: joexx / photocase.com

Mit dem Bus durchs nächtliche Berlin fahren, eine kostenlose Stadtführung genießen und nebenbei das Traumdomizil finden - so hatte das Onlineportal "Immoscout24" seine "Langen Nacht der Wohnungsbesichtigungen" geplant. Aus dem zähen Unterfangen, sich ein hässliches Loch nach dem anderen anzusehen, sollte ein abendfüllendes Lifestyle-Event werden.

Allerdings zeigte sich am Donnerstagabend, dass Immoscout24 wohl besser eine andere Stadt ausgewählt hätte als Berlin, wo der Ärger über Gentrifizierung ohnehin gärt. Denn zum Ausgangspunkt der Veranstaltung am Alexanderplatz kamen neben Wohnungssuchenden auch viele, die ihrer Wut über rapide steigende Mieten und Verdrängungsprozesse Luft machen wollten.

Zum Beispiel Robert von der Linken Jugend. "Wohnungsbesichtigungen bei einem derart angespannten Mietenmarkt als Event zu präsentieren, ist zynisch", sagte er, während er mit einem Plakat in der Hand gegen die PR-Aktion protestiert. Andere äußerten ihre Kritik auf kreative Weise: Sie legten auf Plastiktischen eigens verfasste Mieterselbstauskünfte aus, in denen intime und absurde Informationen wie die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung abgefragt wurden.

Protestiert wurde jedoch auch weniger friedlich: Laut Polizei wurden in Kreuzberg zu besichtigende Wohnungen und Flure mit Farbe beschmiert, in Prenzlauer Berg Inventar gestohlen.

Doch auch die Veranstalter trugen dazu bei, dass der Abend viele Wohnungssuchende frustrierte: Busse brachten die Interessenten zwar wie geplant in verschiedene Stadtteile, doch längst nicht alle Wohnungen waren zugänglich. Dies musste auch eine kleine Gruppe in Prenzlauer Berg feststellen, die drei Mal hintereinander vor verschlossenen Türen stand: Vor zwei Häusern wurden sie von Polizisten statt Maklern empfangen, die die Wohnungen wegen Vandalismus und Diebstahl gesperrt hatten. Vor dem dritten dann war ein Sicherheitsmann erstaunt, dass überhaupt jemand auftauchte: Er habe schon tags zuvor den Auftrag erhalten, niemand hineinzulassen.

"Super organisiert, das Ganze", so ein abgewiesener Interessent. Damit meinte er allerdings nur ein Dixie-Klo, das zufällig am Straßenrand stand. Denn zumindest da kam er ohne Probleme rein.

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7 Kommentare

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  • E
    Emu

    PS: Der letzte Eintrag von Emu war für einen anderen Beitrag, hat aber sicher universelle Gültigkeit. ;-)

  • E
    Emu

    Also bei jungen Menschen, insbesondere solchen, die mal eine Uni von innen gesahen haben, auch wenn diese unter Bologna den Namen nicht mehr verdient, habe ich kein Verständnis für diese extreme Blauäugigkeit.

     

    Wer dann auch noch Facebook und was weiß ich benutzt und für eine tendenziell kritische Zeitung wie die TAZ schreibt, in der schon oft auf die Datenschutz- und Sicherheitsprobleme hingewiesen wurden, dessen im Artikel beschriebenes Verhalten grenzt schon fast an Vorsatz.

     

    So naiv kann heute keine/r mehr sein, erst Recht nicht in diesem Alter und zumindest eingebildeter allgemeiner Intelligenz und nur normaler sozialer Achtsamkeit. Aber vielleicht sind das auch alles nur Symptome der reduzierten Bildung im Bolognasystem, immer nur oberflächlich pragmatisch aber dafür unkritisch und systemkenntnisarm.

  • H
    Hugo

    Die aus zB. Pariser Perspektive niedrigen Mieten in Berlin als solche zu bezeichnen, ohne das Lohnniveau in Relation zu stellen ist dumm oder berechnet.

  • J
    Johannes

    Was für eine schwachsinnig Argumentation der Immobilienbüttel. Nur weil vielleicht die Preise in München, Hamburg, London völlig überteuert sind, müssen sie das nicht in Berlin auch werden, einer Stadt mit völlig anderen Rahmenbedingungen. Schließlich verlangt auch keiner mehr Umweltverschmutzung in Berlin, nur weil sie in China, Mexiko etc. auch höher ist. Wer sich negative Beuspiele zum eigenen Maßstab nimmt, ist selbst zutiefst negativ und moralisch unglaubwürdig.

     

    Sehr gute Aktionen gegen denkbefreiten und unsozialen Zeitgeist!

  • E
    erikius

    @von Patrick

    Genau richtig! Die "Demonstranten" haben keine Ahnung von Mietpreisen in deutschen Großstädten.

    Ein Berliner WG-Zimmer im Vergleich zu einem in Hamburg ist leicht zu finden und im Verhältnis sehr günstig.

  • A
    Annika

    Die Mieten mögen zwar "überwiegend günstig" sein, dies aber meist auch nur in entsprechenden Gegenden. Des Weiteren kommen bei Wohnungsbesichtigungen auf eine ein-Zimmer Wohnung 30 Bewerber- als Hartz 4 Empfänger, Asylbewerber oder auch Menschen aus anderen Ländern mit dauerhaftem Visum sowie Studenten ohne Bürgschaft haben da schonmal keine Chance.

  • P
    Patrick

    Zitat: "Wohnungsbesichtigungen bei einem derart angespannten Mietenmarkt als Event zu präsentieren, ist zynisch"

     

    Es mag zwar in einigen, vormals hippen Kiezen tatsächlich drastische Veränderungen geben, insgesamt würde ich es aber gleichermaßen als zynisch erachten, die überwiegend günstigen Mieten in Berlin als besonders "angespannten Mietenmarkt" zu bezeichnen.