Wohnen in der Stadt: "Der Druck wird wachsen"
Gentrifizierung gab es schon immer, sagt Stadtforscher Bodenschatz. Doch viele wollen heute auf einer größeren Fläche wohnen. Ein Interview aus der neuen taz.Berlin-Wochenendausgabe.
taz: Herr Bodenschatz, derzeit rollt eine Welle der Gentrifizierung über Kreuzberg und Neukölln. Geht sie vorüber – oder hat sie eine neue Qualität?
Harald Bodenschatz: Wenn man die Jahre nach dem Mauerfall betrachtet, hat sie eine neue Qualität. In den Neunzigern gab es zwar auch Aufwertung, aber zugleich am Stadtrand eine Überproduktion im Wohnungsbau. Das führte zu einer Entmischung – viele Besserverdienende zogen weg. Der große Druck blieb dadurch aus.
Nun kommen die Besserverdienenden zurück.
Das ist ein Teil der neuen Qualität, die Sie angesprochen haben.
Viele mit geringerem Einkommen vor Ort zählen zur migrantischen Bevölkerung. Diese hat bislang jede Gentrifizierungswelle überstanden. Wird das so bleiben?
Sind die migrantischen Milieus wirklich so arm, wie gerne behauptet wird? Es gibt da viele, die nicht zu den Verlierern gehören. Manche sind auch in bürgerliche Quartiere gezogen. Da muss man differenzieren.
Überall in der Stadt steigt der Verbrauch von Wohnfläche – nur nicht in Kreuzberg. Ist das ein Hinweis auf Überbelegung?
Wenn man davon ausgeht, dass die Besserverdienenden auch dort in größere Wohnungen ziehen, muss der Wohnraum für andere abnehmen. Das ist neu. Bis in die 1980er Jahre haben alle Schichten von diesem Anstieg profitiert.
geboren 1946, ist emeritierter Professor für Architektursoziologie an der TU Berlin und Stadtplaner.
Also sind nicht nur die Rückkehrer in die Innenstadt und die Neuberliner das Problem …
… sondern auch wir selber, ja, wir als Angehörige der Mittelschichten. Das Problem ist auch unser gestiegener Anspruch an Wohnfläche. Auch die zunehmende Anzahl an Single-Haushalten gehört dazu. Der zunehmende Wohnflächenkonsum frisst einen Großteil der Wohnungen, die in der Nachkriegszeit und in vergangenen Jahren gebaut wurden, wieder auf.
Gerade hat der Senat die neue Bevölkerungsprognose vorgelegt. Bis 2030 wird es 250.000 neue BerlinerInnen geben. Steigt der Druck vor allem in den Innenstadtquartieren?
Ja, der Druck auf die Innenstadt wird wachsen, die Mieten werden im Rahmen des geltenden Mietrechts weiter steigen. Das heißt aber nicht, dass die Verdrängung auch und sofort alle Teile von Wedding und Moabit erfassen wird.
Der verstorbene Stadtsoziologe Harald Häußermann hat 2006 gesagt: Wenn der Wirtschaftsaufschwung in Berlin ankommt, werden wir bald Pariser Verhältnisse haben. In der Innenstadt wohnen dann nur die Besserverdienenden.
Dieser Text ist Teil des aktuellen Schwerpunkts der neuen taz.berlin-Wochenendausgabe. Im Fokus stehen diese Woche die Zwangsräumungen und die Mieterverdrängung in Kreuzberg - und der Widerstand der Einwohner dagegen.
Zudem im neuen Wochenendteil der taz.berlin:
- ein Text von Detlef Kuhlbrodt über seinen Lieblingsbillardsalon
- ein Interview mit Anarcho-Karikaturist Klaus Stuttmann
- der vierteilige Wochenrückblick
Die Wochenendausgabe erscheint zum sechsten Mal am 8. Dezember und bietet auf zwölf Seiten Recherche, Interviews, Meinung, Kolumnen und viel Kultur.
Diese Trendaussage war richtig – und er musste wohl auch zu einem solchen Bild greifen, damit die Aussage gehört wird. Allerdings sind wir von Pariser Verhältnissen noch weit entfernt.
Kreuzberg war immer ein widerständiger Bezirk. Das hat sicher Investoren abgeschreckt. Gilt das immer noch?
Schwer zu sagen. Ich denke, dass Investoren immer noch sensibel auf mögliche Widerstände reagieren. Aber in einer Phase des Aufschwungs ist der Widerstand immer in einer Defensive.
Vor zwei Jahren haben Sie an die große Berliner Städtebauausstellung von 1910 erinnert. Damals war das Wohnungselend immens. Brauchte es erst einen Weltkrieg, bis Berlin den Siedlungsbau vorantrieb?
Wir wissen, dass in den neuen Siedlungen keiner gewohnt hat, der von diesem Wohnungselend betroffen war. Die ungelernten Arbeiter und die Arbeitslosen haben weiter in der oft überbelegten Mietkasernenstadt gelebt. Neubau kann das Problem nur sehr begrenzt lösen. Unser Augenmerk muss klar dem Bestand und der Mietenpolitik gelten.
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