Wohlstandsviertel ziwschen Plattenbauten: Inseln der Glückseligen in Marzahn
Zwischen den Plattenbauten in Berlin-Marzahn leisten drei Siedlungen Widerstand gegen das schlechte Bezirksimage: Biesdorf, Mahlsdorf und Kaulsdorf sind die Wohlstandsinseln des Ostens.
Laut den Unternehmensberatern von BBE Retail Experts gibt es in Biesdorf, Kaulsdorf und Mahlsdorf ähnlich kaufkräftige Haushalte wie in den traditionell wohlhabenden Vierteln Zehlendorfs. Im Postleitzahlenbereich 12621 in Kaulsdorf wohnen demnach Menschen mit einer Kaufkraft von 111,15 (der bundesweite Durchschnittswert für die Kaufkraft - das verfügbare Einkommen von Menschen in einem bestimmten Bezirk - liegt bei 100). In den Biesdorfer Straßen des Bereichs 12683 liegt der Wert bei 110,18. PEZ
Der Wohlstand zeigt sich widerwillig. Die Wände in der Unterführung unter dem S-Bahnhof Wuhlheide sind schmierig, aus einem umgekippten Mülleimer quellen Essensreste, Papier und Plastikflaschen. Es stinkt nach Vergammeltem. Hinter der Brücke Richtung Kaulsdorf wartet "Fairkauf" an der Straßenseite, Ramsch zum kleinsten Preis, am Bahnhofsvorplatz trifft sich der Kiez bei "MacBistro". Kurz vor zwölf an einem sonnigen Mittag beschleicht den Besucher die Ahnung: Die Suche nach den gut verdienenden Ostberlinern wird zur Herausforderung. Dabei müssen sie irgendwo hier sein, hat die Statistik versprochen. In Mahlsdorf, Biesdorf und eben Kaulsdorf sei die Kaufkraft so hoch wie in den Dahlemer Villenvierteln, sagen Experten.
"Echt, so hoch wie in Zehlendorf?", fragt die Buchhändlerin Franziska Thiel. "Also hier wohnen viele Lehrer, Ärzte, Doppelverdiener. Es ist eine richtige Einfamilienhausgegend, ganz anders als der Prenzlauer Berg oder so." Sie selbst kam vor wenigen Jahren mit ihrer Familie aus Marburg nach Kaulsdorf, weil es so ruhig ist und so grün, ideal für Kinder. Im Lauf der Zeit hat sie festgestellt: Wer kommt, der bleibt und wird heimisch. "Bücher über den Stadtteil, Heimatbände, das wird bei uns am meisten gekauft", sagt Thiel.
Die Geschichte Kaulsdorfs reicht bis ins 14. Jahrhundert zurück. Der Anschluss an die Bahn im 19. Jahrhundert gab der Gemeinde einen Schub, die steigende Nachfrage nach Gemüse aus dem Dorf um die Wende zum 20. Jahrhundert tat ihr Übriges. Der Kern des Angerdorfs ist bis heute gut erhalten, in seiner Mitte steht die von Grün umrahmte historische Dorfkirche - ein Idyll, dessen gefühlte Entfernung von der Metropole deutlich weiter als die tatsächliche ist.
"Zu Kaulsdorf gehört schon, dass man es sich nett und schön macht", sagt Pfarrerin Christine Radziwill. "Wir haben hier nicht wenige, die mit ihren Kindern bewusst aus Friedrichshain oder Prenzlauer Berg rausziehen - das setzt voraus, dass Geld zum Bauen oder zumindest für eine Wohnung da ist." Probleme, die es ein paar Straßenzüge weiter in der Marzahner Platte gebe, seien weitgehend unbekannt: "Kriminalität, Suppenküchen, Herausforderungen mit Migranten gibt es im Herzen Kaulsdorfs kaum."
Viel von den gut verdienenden Dorfbewohnern ist allerdings nicht zu sehen - unter der Woche sind die Vorgärten verwaist, die Garagentore geschlossen. Hier arbeiten beide Partner. Auf der Suche nach Erklärungen muss der Bezirksstadtrat helfen.
Am Bürgersteig des Blumberger Damms, der den Park von der nächsten Gutverdiener-Siedlung trennt, geht eine Skinhead-Frau mit Pitbull spazieren. Die Hochhäuser um den Helene-Weigel-Platz beschließen den Horizont. Dazwischen liegt das Rathaus. Vor dem roten Backsteingebäude hüpfen Jungen durch einen Springbrunnen; die Bauarbeiter am Hähnchenbraterwagen schauen zu.
Stadtrat Norbert Lüdtke hat nicht viel Zeit. "Jetzt fragen Sie mal alles, was Sie schon immer wissen wollten", sagt er und schenkt Mineralwasser ein. Der 52-jährige Politiker der Linken wohnt drei Minuten entfernt vom Bezirksamt in der Platte, seit Jahren schon. Da kennt er die Menschen. Das benachbarte Kleinbürgeridyll hat den Bauingenieur nie gereizt. "Die Sozialstruktur und die Einkommensverhältnisse sind ähnlich wie in Zehlendorf, wir können uns ohne Schwierigkeiten damit vergleichen", sagt Lüdtke. Mahlsdorf, Kaulsdorf und Biesdorf sind traditionelle Siedlungsgebiete. Der Stadtrat bestätigt die Vermutung, dass es im Osten auch in den Familien mehr Doppelverdiener als im Westen gibt. Bei kinderlosen Paaren arbeiten ohnehin beide - das fördert die Kaufkraft.
Während Kaulsdorf und Mahlsdorf weitgehend zugebaut sind, wächst Biesdorf, wie Lüdtke sagt. Im Süden des Viertels sprießen die Häuser aus dem Boden. Ursprünglich waren Geschosswohnungen vorgesehen, vor vier Jahren entschied die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Abstimmung mit dem Senat, die Pläne zu ändern. Die Interessenten wollten Einfamilien- und Reihenhäuser auf dem ehemaligen Militärgelände, das derzeit bebaut wird. "Da muss man regelmäßig hin, weil die Häuser schneller wachse,n als man gucken kann", sagt Lüdtke.
Im Biesdorfer Norden ist das anders, dort sind die Baulücken geschlossen. Wie im ganzen Bezirk wohnen weniger Singles und dafür mehr Familien als in der Gesamtstadt in den hübsch sanierten Altbauten und den unauffälligen neuen Häusern dazwischen. René Höhne profitiert von den Familien im Kiez. Seit acht Jahren betreibt er in der Oberfeldstraße, mitten im Wohngebiet, einen Laden mit Schreibwaren, Lottoannahmestelle und Stehcafé. Er kennt die versteckten Kaufkräftigen: Vater und Mutter holen sich auf dem Weg zur Arbeit ihre Zeitung, Oma spielt Lotto, und der Nachwuchs braucht Stifte für die Schule. "Viele sind nach der Wende zugezogen und haben neu gebaut, es war ja noch Platz", sagt Höhne, der mit seiner Familie in der Wohnung einer ausgebauten Jugendstilvilla wohnt.
Nördlich der S-Bahn-Station Biesdorf wechseln sich Neubauten mit sanierten alten Gebäuden ab. Wie schon in Kaulsdorf liegen Gärten und Gehsteige zur Mittagszeit verlassen. Auch bei Höhne ist es ruhig; sein einziger Gast ist Michaela Runge. Wie jeden Mittag kommt die 40-jährige Friseurin zum Kaffeetrinken. Sie ist eine der wenigen Alleinstehenden im Viertel. Ob es ihr nicht zu langweilig sei, ohne Kneipen und Klubs? "Mit dem Auto bin ich ja schnell in Prenzlauer Berg", erwidert sie. Die Biesdorfer Ruhe abends und die Nähe zu ihrem Salon seien ihr wichtiger.
Die Biesdorfer Restaurantszene ist in der Tat begrenzt. Es gibt einen Standard-Italiener nahe der S-Bahn-Station, gegenüber ein Eiscafé. Viel mehr rentiert sich nicht in einer Gegend, in der die Älteren daran gewöhnt sind, das Geld zusammenzuhalten. Die Jüngeren, die "Anzugträger", wie Höhne sie nennt, verlassen morgens das Haus und sitzen abends nach der Arbeit erschöpft auf dem Sofa. "Die Leute treffen sich eher im Nachbargarten, außerdem bleiben die Kinder oft in der Gegend wohnen, wenn sie erwachsen sind, und schauen gern bei den Eltern vorbei", sagt der Besitzer des Schreibwarenladens.
Da sitzt sie dann, die Kaufkraft des Ostens, zwischen Gemüsebeeten und Grill im Garten - und blickt auf den Horizont. Marzahner Hochhäuser im Westen, Hellersdorfer Hochhäuser im Osten. Es ist die tägliche Erinnerung, dass der Wohlstand seine Grenzen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!