: Woher kommt Ihr T-Shirt?
Die US-amerikanische Wirtschaftsprofessorin Pietra Rivoli hat erstmals von Anfang bis Ende den Weg eines globalen Produkts verfolgt: von Texas über China nach Europa und Afrika. Ihr Fazit: Globalisierung ist gut – für alle Beteiligten
VON TOBIAS MOORSTEDT
Jede Reise beginnt mit einer Frage. „Wo kommt ihr T-Shirt her“, wurde die amerikanische Wirtschaftsprofessorin Pietra Rivoli im Jahr 2000 von einer Studentin bei einer Antiglobalisierungsdemonstration auf dem Campus der Georgetown-Universität gefragt. Pietra Rivoli erinnert sich gut an die Konfrontation auf dem Campus. „Es war eine gute Frage. Ich wusste es nicht“, sagt Rivoli, „und das war für mich Grund genug, das Leben eines T-Shirts mal näher zu erforschen.“
In den folgenden zwei Jahren verfolgte Pietra Rivoli das Stück Stoff über tausende von Kilometern und drei Kontinente, besuchte Texas, Schanghai und Ostafrika. Denn um eine Antwort auf die Frage nach Herkunft und Hintergrund eines T-Shirts zu erhalten, genügt es eben nicht, das eingenähte Label zu lesen. „Made in China“ – das ist nur die halbe Wahrheit.
Das T-Shirt, Pietra Rivoli gibt es gerne zu, „war kein besonders modisches Teil“. Ein weißes Baumwoll-Shirt aus einer Drogerie, bedruckt mit einem rosa Papagei und dem Slogan „Florida is beautiful“. Über ihre Reise mit diesem T-Shirt hat Rivoli nun ein Buch geschrieben: „Reisebericht eines T-Shirts. Ein Alltagsprodukt erklärt die Weltwirtschaft“. Rivolis Buch ist keine wissenschaftliche Studie über die Textilindustrie, sondern, wie sie sagt, eine „Geschichte aus der globalisierten Welt“. Die Baumwolle für das T-Shirt wird in Texas angebaut und in China verarbeitet, in Florida wird das T-Shirt bedruckt und in Washington getragen. Und nach ein paar Jahren landen die T-Shirts dann oft auf einem Secondhandmarkt in Ostafrika.
Anders als viele Menschen hat Pietra Rivoli keine Angst vor der Globalisierung. Der Begriff bezeichnet schlicht den gegenwärtigen Zustand der Welt und die Bedingungen „die Handelsgesetze, Marktordnung und Infrastruktur“, unter denen ein T-Shirt produziert wird. „Mein Shirt ging durch so viele Hände“, erzählt Rivoli, „Nelson, Yuan Zhi, Ed, Gulam, Mohammed und Yong Fang. Ich hab’ sie alle getroffen.“ Der bleibendste Eindruck war für Rivoli deshalb auch, wie gut die Menschen in der globalen Wirtschaft miteinander auskommen. „Inder, Chinesen, Amerikaner, Muslime, Christen und Juden sind alle durch die gemeinsame Arbeit verbunden.“
Ein T-Shirt ist ein gutes Anschauungsobjekt, um die globale Wirtschaft zu verstehen. Die ersten Fabriken überhaupt waren Textilfabriken. Und der hohe Automatisierungsgrad und der einfache Produktionsprozess waren dann auch der Grund dafür, dass sich die Textilindustrie als eine der ersten Branchen die billigen Arbeitskräfte in den Entwicklungsländern zunutze machte und Fabriken in Taiwan oder Thailand baute. Außerdem: „Jeder hat ein T-Shirt“, sagt Pietra Rivoli, „jeder hat eine Beziehung dazu.“ Das T-Shirt ist kein Gebrauchsgegenstand, sondern eine Ikone der Popkultur wie Coca-Cola oder Rock ’n’ Roll. Das T-Shirt steht für Lebensfreude, Freiheit und warmes Wetter. Auch deshalb war der Skandal Ende der Neunzigerjahre so groß, als der Öffentlichkeit bekannt wurde, dass die bunte Sportswear in stickigen Fabriken hergestellt wurde.
Die erste Regel der globalisierten Wirtschaft lautet: Produziert wird dort, wo es am billigsten ist. Sollte man zumindest meinen. Auch Pietra Rivoli war überrascht, als sie feststellte, dass die Baumwolle für ihr weißes Shirt in Texas angebaut wurde und nicht etwa in Billiglohn-Ländern wie China oder Westafrika. „Die Dinge sind mobil“, sagt Rivoli, „aber sie sind nicht frei.“
Pietra Rivoli ist keine politische Aktivistin, sondern Wirtschaftswissenschaftlerin und glaubt deshalb an die „unsichtbare Hand“ des Marktes und daran, dass die Leute irgendwann „einsehen werden müssen, dass ein freier Markt den Menschen Wohlstand und Freiheit bringt“. Aber auf der langen Reise hat sie vieles gelernt, was nicht in den Theoriebüchern steht. „Globalisierung ist kein reines Wirtschaftsphänomen“, sagt sie, „sondern das komplizierte Geflecht aus Marktgeschehen und politischer Einflussnahme“. Die Baumwollindustrie wird in den USA von einer starken politischen Lobby beschützt. Mit Subventionen, Zollgesetzen und Versicherungen, erzählt Rivoli, „schützt die Regierung die Farmer vor Risikofaktoren wie Preis, Arbeitsmarkt, Kredit und Wetter.“ Die amerikanische Textilindustrie hat nicht so viel Glück. Der texanische Baumwoll-Bauer Ed liefert seine Wolle deshalb zu 95 Prozent nach Ostasien, wo sie von Unternehmern wie Yuan Zhi verarbeitet wird.
Die Textilindustrie in China boomt. Seit Mitte der Neunzigerjahre haben chinesische Hersteller jeden zweiten Webstuhl gekauft, der auf der Welt gebaut wurde. Aber auch Herr Yuan kann nicht frei auf dem Weltmarkt agieren. Um ihre eigene Textilindustrie zu schützen, haben die USA und die EU schon in den Siebzigerjahren in Handelsabkommen wie dem „Multifiber-Agreement“ (MA) hunderte von Quoten festgeschrieben, die genau bestimmen, welche Zahl von T-Shirts, Büstenhaltern oder Mänteln aus einem Land A in ein Land B exportiert werden darf. Das MA lief Ende 2004 aus und prompt beantragte China in der EU für 2005 die Einfuhr von 373 Millionen T-Shirts – fünfmal so viel wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Zwar muss China laut einer Vereinbarung mit der Welthandelsgesellschaft WTO seine Exporte bis 2008 weiter drosseln. Trotzdem wird sein Marktanteil nach WTO-Prognosen in den nächsten Jahren rasant steigen – von derzeit 18 auf 29 Prozent in der Europäischen Union und von 16 auf 50 Prozent in den Vereinigten Staaten.
Die billigen Preise und die hohe Produktivität von Staaten wie China verbinden viele Menschen mit Sweatshops. Auch darüber hat sich Pietra Rivoli informiert. „Die Arbeit in den Fabriken ist aufreibend und hart“, erzählt sie, „aber ich habe keine Szenen wie aus einem Charles-Dickens-Roman gesehen.“ Die Wirtschaftsprofessorin ist sich bewusst, dass „der globale Konkurrenz- und Preiskampf die Arbeiter unter Druck setzt.“ Aber sie besteht darauf, dass „die schlimmsten Plätze auf der Welt Fabriken sind, die komplett vom internationalen Handelsfluss abgeschnitten sind“. Denn anders als etwa die Militär-Junta von Birma könne man Konzerne wie Nike oder GAP „auf Mindeststandards festlegen und sie bei Verfehlungen unter Druck setzen, weil die Firmen um ihr Image besorgt sind“.
Nach zwei Jahren kam Pietra Rivoli wieder zurück auf den Campus der Georgetown-Universität. Dort finden noch immer Demonstrationen gegen Globalisierung und Mega-Konzerne statt. Wenn Professor Rivoli nun von ihrer Reise auf den Spuren eine T-Shirts erzählt, dann endet die Geschichte immer mit der Feststellung, dass „weder der freie Markt noch eine naive Totalkritik den Armen der Welt viel Hoffnung bieten“.
Die Lösung für die Probleme sieht Rivoli in einem Konspirieren von Kapitalisten und ihren Kritikern. „Die Firmen versorgen die Menschen mit Arbeit und Kapital“, sagt Rivoli, „und die Aktivisten kontrollieren, dass sie bestimmte Regeln einhalten. Man hat in den letzten fünf Jahren doch schon viel erreicht und die Bedingungen neu definiert, unter denen einige der weltgrößten Unternehmen ihren Geschäften nachgehen.“
Pietra Rivoli, „Reisebericht eines T-Shirts. Ein Alltagsprodukt erklärt die Weltwirtschaft“. Econ Verlag, 288 Seiten, 16 €