Wochenübersicht: Bühne : Esther Slevogt betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen
Vielleicht ist das Theater einer der wenigen Orte, an dem noch Menschheitsbegriffe wie Sehnsucht eine Plattform finden, ohne in quotenträchtigem, marktkonformem Kitsch zu versinken. Eine Reihe von freien und halbwegs freien Theatern hat sich nun zusammengeschlossen, um (unterstützt von der Bundeszentrale für politische Bildung) den verschiedenen Fliehkräften dieses mächtigen Gefühls nachzugehen. Unter der Überschrift „Sehnsucht“ veranstalten das HAU, die Sophiensæle, das Theater unterm Dach und der Theaterdiscounter vom 10. bis zum 20 November das Festival „Politik im Freien Theater“. Bühnen wie das Theaterhaus Jena oder das Theaterhaus Weimar, Naturereignisse wie Christoph Schlingensief und freie Formationen wie das Kölner Duo Hofmann & Lindholm oder das Theater RambaZamba werden in ihren Produktionen Variationen über die unterschiedlichsten Sehnsuchtsarten präsentieren. Die Textmarker im Prenzlauer Berg sind in ihrer jüngsten Produktion dabei offensichtlich zu wenig optimistischen Prognosen gelangt: „Die Wunder ruhn“ heißt ein Theaterstück, das sich mit der Geschichte einer tschetschenischen Selbstmordattentäterin befasst. Einen ganz eigenen Utopie- und Sehnsuchtsbegriff hat das Weddinger Prime Time Theater in seiner Theatersoap „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ entwickelt, deren 35. Folge „Guck mal wer da fehlt“ am Freitag zur besten Sendezeit, also 20.15 Uhr, Premiere hat. Mit Sehnsucht hat auch der neue Abend von Georgette Dee einiges zu tun, der heute Abend im Tipi Premiere hat. Mit rauchiger, wodkaschwangerer Stimme behandelt die Berliner Diseuse in ihren Liebes-, Trink- und Wutliedern unter dem Titel „Neben mir: Ich – wie nett!“ Fragen wie „Warum halten wir durch?“ bzw. „Warum fallen wir?“ – wie immer in ihrer unnachahmlich bodenständigen Poesie.