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Wochen-PostHeraus zum 2. Mai

■ Eine Bußpredigt, ein Wahlsieg. Wie schwer es ist, die Langsamkeit zu verlernen

Der arme Herzog wird verrissen, weil seiner Kehret-um-Rede die Adressaten fehlten und nun jeder meint, es seien die anderen kritisiert worden. Tony Blair wurde gewählt, weil er sich den Briten als geeignete Kur gegen die Schmerzen ihres Booms empfehlen konnte, und nun wollen es die deutschen Sozialdemokraten ihm nachmachen, und Kanzler Kohl will seinem Schoßhund Blair helfen, in Europa anzudocken.

Hier lernt jeder gern, was er immer schon wußte: Die Sozis lernen erst an Clinton, dann in Britannien, wie schön es ist, zu siegen – Jobs, Jobs, Jobs, aber über die steuerliche Befreiung von Sonntags- und Nachtzuschlägen lassen sie nicht mit sich reden. Kohl lernt an Blair, daß nur er, Kohl, den Weg nach Europa weisen kann.

Die Gewerkschaften lernten am 1. Mai, daß Massenarbeitslosigkeit die Leute nicht mobilisiert. Jörg Schönbohm tat, was alle Berliner Innensenatoren vor ihm wollten, aber nicht durchsetzen konnten: den revolutionären Budenzauber abstellen. Heraus zum 2. Mai!

Die Langsamkeit muß dieses Land nicht erst entdecken. Es stellt sich stur wie die belachten Ostfriesen; und so inbrünstig treibt es die Liebe zum schlechten Status quo, daß Regierung und Volk einander fast nichts mehr vorzuwerfen haben. Fast zehn Jahre nach der vielzitierten anderen Metropole – New York – merken Hausbesitzer, Nahverkehrsbetriebe und Berliner, daß es gesellschaftlich bedeutend ist, eine Stadt graffitifrei zu halten.

Daß man für den „Feelgood“- Faktor im öffentlichen Leben etwas tun kann. Daß Bürger, die ihre Balkonpflanzen pflegen, als sei die Straße ihr Wohnzimmer, es honorieren, wenn die Institutionen die öffentlichen Einrichtungen sorgfältig behandeln.

In anständigen Schulen lernen Schüler vielleicht nicht besser, aber sie lernen, daß sie der Stadt wichtig sind, Fahrgäste fühlen sich sicherer, wenn die Bahnhöfe aus gutem Material gebaut und die Papierkörbe regelmäßig entleert werden. Rhetorik und Auftritt der Straßenkämpfer kommen da längst nicht mehr mit. Er habe „seine Haßkappe auf“, sagt der ansonsten umgängliche Hausbesitzer, wenn er sieht, was ein Mensch mit einer Spraydose an einem Abend in einer Straße angerichtet hat.

Man stutzt, lacht über den Frontenwechsel dieses Wortes aus der Autonomenszene und kapiert, daß dieser Mann ein effektiverer Gesellschaftsveränderer ist als jeder Straßenkämpfer. Er weiß, daß es auf Präzision ankommt.

Wer schöne Fassaden malt, muß im Parterre sprayabweisende Farbe benutzen. Wer kritisiert, muß sagen, wen er meint. Wer Jobs schaffen will, muß den Leuten plausibel machen, daß es besser ist, einen schlechten Job zu haben als keinen. Wer Europa will, muß erklären, warum die Europäer es auch wollen sollen. Mechthild Küpper

wird fortgesetzt

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