: Wo alle einen Sitzplatz finden
■ betr.: „Verkehrsforscher auf neuen Wegen“, taz vom 16. 4. 97
In dem Beitrag von Stephan Rammler wird völlig zu Recht die Tatsache kritisiert, daß die bisherige Verkehrsplanung den Menschen als Subjekt vernachlässigt hat.
Welche Bedeutung gerade dieser Faktor haben kann, zeigt das Beispiel der Schmalspurbahn von Oschatz nach Kemmlitz: Dort wird seit August 1995 ein Teil des Schülerverkehrs wieder auf der Schiene durchgeführt, nachdem der reguläre Personenverkehr im Jahr 1975 eingestellt worden war. Diese Fahrten sind bei den Schülern außerordentlich beliebt – die Inanspruchnahme der Züge steigt permanent, die zuvor prall gefüllten Busse werden entlastet.
Während für viele Verkehrsplaner und Betriebswirte übervolle Busse optimal ausgenutzte Gefäße (die Bezeichnung „Gefäß“ wird in der Verkehrsplanung wirklich benutzt!) sein mögen, ziehen die täglich von solchen „Lösungen“ betroffenen Schüler den Zug vor, wo alle einen Sitzplatz finden. Der Betreiber der Strecke, die Döllnitzbahn GmbH, ist von Anfang an auf ihren neuen Kundenkreis zugegangen: So wurden den Schülern Mitfahrten auf der Lok angeboten, und an der Einweihung einer vor einigen Tagen aus Österreich beschafften Diesellok wirkten die Schüler aktiv mit. Auf diese Weise kann sich die heranwachsende Generation mit „ihrer“ Bahn und damit einem öffentlichen Verkehrsmittel identifizieren.
Wer solche Erlebnisse gehabt hat, wird vielleicht auch in späteren Jahren dem ÖPNV bzw. dem Umweltverbund die Treue halten. Im Gegensatz dazu werden Kinder, die öffentliche Verkehrsmittel nur als enge, anonyme, für „Randgruppen“ eingerichtete „Gefäße“ kennengelernt haben, eher dazu neigen, diese im Erwachsenenalter zu meiden. [...] Hansjörg Beyer, Berlin
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