: Wo Fischfutter noch Heldentode stirbt
Im Hamburger Maritimen Museum des ehemaligen Springer-Chefs Peter Tamm wird unter anderem der Seekriegsführung des Drittens Reichs gedacht, als wär’s eine Wettfahrt harmloser Schiffchen gewesen. Besuch einer skandalösen Ausstellung
Peter Tamm, 80, hat nicht nur während seiner langen Jahre als Vorstandsvorsitzender des Axel Springer Verlages maritimen Plunder gesammelt – der Mann ist ein Überzeugungstäter. 1948 begann er seine Karriere als Schiffsredakteur beim Hamburger Abendblatt, von 1968 bis 1991 steuerte er die Springer-Verlags-Holding durch die Untiefen der Branche. Neben zahlreichen Orden und Honorarprofessuren ist Tamm auch als Ehren-Schleusenwärter von Hamburg ausgezeichnet worden – eine Auszeichnung für Leute, die metaphorisch „die Schleusen für die Hansestadt öffnen“. Mit 30 Millionen Euro Zuschuss von der Kulturförderung der Stadt öffnete sein Maritimes Museum Hamburg (Schiffsmodelle, Uniformen und anderer Tand) am 25. Juni 2008 die Schleusen. FRA
AUS HAMBURG PETRA SCHELLEN
Am Eingang warten zwei handliche Kanonen. Zwischen denen muss man durch, sonst kommt man gar nicht rein ins frisch eröffnete Maritime Museum in Hamburg. Ein solches Entree war angesichts der Militaria-Manie des Sammlers und Ex-Springer-Chefs Peter Tamm, der das Haus bestückt, zwar zu erwarten, in seiner Unverfrorenheit überrascht dieser bewaffnete Empfang trotzdem, hatten Hamburger Politiker, die das Haus mit 30 Millionen Euro subventionierten, Kritik am Militarismus Tamms doch stets abgewiegelt. Auch Tamm selbst hatte immer wieder gesagt, die Kritiker sollten doch bitte bis zur Eröffnung warten. Dann werde man Fakten sprechen lassen.
Die liegen jetzt vor: in Gestalt zweier Nazi-U-Boote aus den letzten Kriegstagen unweit des Eingangs etwa, eingerahmt von weiteren Kanonen, die immerhin nicht auf den Besucher zielen.
Und drinnen: auf 12.000 Quadratmetern des Kaispeichers von 1878: neun Stockwerke maritimen Sammelsuriums – insgesamt rund 70.000 Schiffsmodelle, Gemälde, Seekarten, Briefe, Uniformen und Waffen.
Doch der Parcours beginnt unverfänglich: Von Navigation, Schiffbau und ähnlichen Harmlosigkeiten handeln die ersten Stockwerke, adrett mit Meeres-Videos garniert. Ein wohlig-romantischer Meerestaumel. Der verfliegt schnell, wenn man Deck vier und fünf betritt: Die sind ausschließlich Militaria gewidmet. Diese Tatsache böte keine Angriffsfläche, würden die Exponate im historisch-kritischen Kontext präsentiert. Aber das ist nicht der Fall: Bar jeder Einordnung hat man hier Büsten, Dokumente, Uniformen, Granaten, Säbel und Kriegsschiffsmodelle aus verschiedenen Ländern und Jahrhunderten zusammengeworfen.
Briefe Admiral Nelsons liegen da zum Beispiel. Der Begleittext berichtet lakonisch, dass er „die französischen Streitkräfte ausschaltete“. Ganz in der Nähe die „Neunschwänzige Katze“, ein berüchtigtes Folterinstrument. Doch dieses Wort fällt nicht. Mit „solchen Peitschen“ seien „bis weit ins 19. Jahrhundert hinein Bestrafungen vorgenommen worden“, steht da bloß. Und dass der Admiralsstab des Nazis Karl Dönitz – eines der Hauptangeklagten der Nürnberger Prozesse – ausgestellt, aber nicht beschriftet ist, würden die Kuratoren wohl als Zufall bezeichnen.
Das glaubt man allerdings schwer, gestaltet sich das zugehörige Geschoss doch sehr martialisch: Gleich um die Ecke wartet eine Phalanx von Schaufensterpuppen in Marine-Uniformen. Sie stehen angriffslustig-frontal zum Betrachter; fehlt nur noch der Trommelwirbel. Auch die Uniform des verurteilten Nazikriegsverbrechers Erich Raeder prangt hier. Und je länger man durch die Ausstellung wandelt, desto intensiver wird der Verdacht, dass die Auswahlkriterien dieses scheinbaren Sammelsuriums keineswegs beliebig waren: Unverhohlene Heldenverehrung findet hier statt, eine Verherrlichung von Kriegshandlungen und kriegsbedingtem Sterben – der Täter. Plastisches Indiz: eine unkommentierte „Heldentod-Urkunde von 1944“.
Auch auf den Marinegemälden, auf denen mächtig geschossen, gebrannt und explodiert wird, fließt kein Blut: „Lecksegel ziehen an einem havarierten Torpedoboot während der Seeschlacht vor Skagerrak“ heißt ein Gemälde Felix Schwormstädts. Markige Matrosen mühen sich darauf mit den Segeln ab. Verletzte oder Tote fehlen. In Sichtweite solcher Preziosen: echte Degen und Dolche, ästhetisch glänzend im Spotlight der Vitrinen, inszeniert als adrette Kunstwerke, versehen mit Beschriftungen wie „russischer Ehrendolch von 1880“. Eine reine Freude für Besucher wie jenen Herrn, der hier ganz sentimental wird und vom verschollenen Familiendegen mit einer Widmung Kaiser Wilhelms II. schwärmt. „Das gehört alles zur deutschen Geschichte, das kann man nicht wegdiskutieren“, sagt ein anderer angesichts der Vitrine mit den Nazi-Ehrenkreuzen. „Das hat es eben gegeben.“ Ein Totschlagargument, das auch die Tamm-freundlichen Politiker sämtlicher Hamburger Parteien stets im Munde führten. „Wir stellen ja nur die Fakten dar“, hatten auch Tamm und die Seinen immer wieder behauptet, als hätten sie von kritischer Geschichtsschreibung nie gehört.
Das haben sie wohl wirklich nicht: Nicht einmal in den 50er-Jahren hätte man es hierzulande gewagt, ein so unkritisches Museum zu schaffen. Und nirgends sonst hätte man die Uhr der „Schleswig-Holstein“, deren Schüsse auf die Westerplatte den Zweiten Weltkrieg auslösten, zeigen können – ganz so, als sei dieses Museum ein Reliquienschrein. Kein seriöser Kurator hätte jenen winzigen „Weihnachtsbaum, 1940“ präsentiert, „angefertigt von Besatzungsmitgliedern des Schweren Kreuzers ‚Admiral Scheer‘ für den Oberleutnant Dietrich Kopp“. Ein extrem zynisches Exempel militaristischer Pseudozärtlichkeit.
Von Opfern – des Kolonialismus wie von Kriegen – spricht die Ausstellung fast nirgends: Zwar gibt es eine Zitatleiste mit Sentenzen wie „Nur die Toten werden das Ende der Kriege erleben“. Ein explizit pazifistisches Bekenntnis findet sich aber nicht. Im Gegenteil: Krieg wird als menschheitsgenetisch programmiertes Naturereignis begriffen. Als legitimer Bestandteil menschlichen Seins, der unabwendbare Opfer zeitigt.
Aber Halt! – ein einziges Exponat zum Sklavenhandel steht da ja doch: Ein abstrakter Schiffsgrundriss mit schwarzen Männchen hängt an einer Wand. Davor ein Holzpodest, wie es auf Sklavenmärkten verwendet wurde. „Um die hohe Sterberate unter den Indianer auszugleichen, bediente man sich bald afrikanischer Sklaven“, steht da. „Die Transportbedingungen waren entsetzlich.“ Doch man glaubt den Machern das Entsetzen nicht, klingt diese Floskel doch nach dem pseudomitfühlenden Duktus derer, die ihre wahre Haltung mühsam kaschieren.
Abgesehen davon war’s das auch schon zu diesem Thema: Sklavenhandel als marginales Alibi-Exponat, den Büsten und Fotos der Kriegsherren zahlenmäßig weit unterlegen. Da hilft es auch nicht viel, dass die anderen Stockwerke Unterwasserforschungsinstrumente, Leuchtturmmodelle und maritimen Kitsch versammeln.
Und so offenbart dieses Museum vor allem eins: einen Mix aus Indifferenz und Machtlosigkeit der Politik- und Kulturszene angesichts der Beratungsresistenz dieses Sammlers, der der Stadt ein bedenkliches Museum beschert hat.
Denn abgesehen davon, dass dessen Geschichtsbild deutlich rechtskonservativ ist, birgt ein solches Haus auch Gefahren: Tamm zielt explizit auch auf junge Besucher. Etliche werden von all der Heldenhaftigkeit und den monströsen Militaria beeindruckt sein. Die Marine als berufliche Perspektive, Krieg als gangbares, sogar „notwendiges“ Mittel – all dies wird hier salonfähig gemacht. Eine fatale Ideologie.