■ Wirtschaftsstrandort Berlin: Faule Bosse
Fabriken schließen (AEG), Traditionsunternehmen gehen in Konkurs (Werner & Niles, Bote und Bock), Produktionen werden ins Ausland verschifft (Siemens) und auf der Straße stehen die Arbeitslosen Schlange. Und wer hat Schuld? Die Kapitalisten, die Wirtschaftslage, der Traum vom Wachstum? Falsch. Berlins neuer Wirtschaftssenator Elmar Pieroth hat am Wochenende die Feriengesellschaft, den Freizeitpark an der Spree, als Haupttäter dingfest gemacht. Zu seinen ersten Amtshandlungen, berichtet Pieroth, habe gehört, städtische Verwaltungen, Wirtschaftsinstitutionen sowie Vorstandsetagen von Industrieunternehmen und Banken anzutelefonieren. „Ich will die Wirtschaft ankurbeln, ist der Boß zu sprechen?“, rackerte er in den Apparat. „Nein, der ist in Urlaub. Fährt Ski. Gönnt sich und seinen Lieben ein paar Wochen Ruhe. Hat sich wie die Kinder Winterferien genommen“, lauteten die Anworten.
Unerträglich, tobt Pieroth. „Jeder zweite Verantwortliche war nicht an seinem Arbeitsplatz, sondern im Urlaub.“ Ferien an Weihnachten, Auszeit im Februar, bald wieder Oster-, Pfingst- und Sommer-Holidays. Da ist es kein Wunder, daß alles in sich zusammenfällt, Firmen krachen und nichts läuft. „Abwesenheitsquote“ total. Es werde gefaulenzt und blaugemacht wie und wo es nur immer geht. „Daran geht die Wirtschaft zugrunde“, folgert Pieroth und ruft nach neuen Bossen am Standort Berlin: „Neue Unternehmer für neue Produkte für neue Märkte“. Mit den Urlaubsschlappsäcken aus der Wirtschaft, die sich wie die Lehrer verhalten, sei eh kein Blumentopf zu gewinnen. Wunderbar. Endlich arbeitet der Chef wieder mehr, packt selbst mit an und krempelt die Ärmel hoch: Aufbau-Ost, High-Tech-West, Riiiisiko. Da ist dann jeder Mitarbeiter wieder so recht motiviert – und braucht Urlaub. Rolf Lautenschläger
Nach Diktat verreist
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