Wirtschaftsregierung abgelehnt: Widerstand gegen zu "strenge" Regeln
Der Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker weist den französischen Vorschlag für eine Wirtschaftsregierung zurück. Auch Großbritannien lehnt strenge Vorschriften ab.

BRÜSSEL afp/dpa/taz Ziemlich laut waren die Rufe nach einer internationalen Finanzaufsicht während die Banken strauchelten, konkrete Maßnahmen wie diese aussehen könnte, sind bislang aber nicht bekannt geworden. Seit Montag ist offenbar auch der Vorschlag für eine europäische Wirtschaftsregierung vom Tisch.
Die von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy vorgelegten Pläne stießen bei dem Treffen der 15 EU-Finanzminister auf teils heftige Kritik. Sarkozy hatte eine europäische Wirtschaftsregierung bereits Mitte Oktober ins Gespräch gebracht und am Montag detaillierte Maßnahmen skizziert.
Frankreich will eine internationale Aufsicht unter anderem für hochspekulative Hedgefonds und Ratingagenturen. Zudem soll laut einem nicht veröffentlichten Papier ein weltweites "Frühwarnsystem" gegen Finanzkrisen installiert werden, in dem der Internationale Währungsfonds (IWF) eine tragende Rolle spielen soll.
Darüberhinaus schlägt Paris vor, dass kein Finanzinstitut und kein Markt ohne Aufsicht und Regulierung bleiben soll. Am Dienstag werden die Vorschläge von den europäischen Finanzministern weiter debattiert. Die Mitgliedsstaaten der EU wollen sich in dieser Woche auf eine Linie einigen, um bei dem Weltfinanzgipfel am 15. November in Washington geschlossen aufzutreten.
Die Ablehnung einzelner Länder war teils fadenscheinig. So meinte ein Diplomat aus London, die Pläne seien „zu detailliert“. Großbritannien bezweifele, dass sich die 20 Teilnehmerstaaten des Weltfinanzgipfels auf so weitgehende Pläne verpflichten würden, hieß es.
Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) sagte, die Bundesregierung habe die von Frankreich angestoßene Debatte bereits im vergangenen Jahr bei ihrer G-7-Präsidentschaft in Gang gesetzt – und sei mit Vorstößen für eine stärkere Regulierung etwa für Hedgefonds schon damals am Widerstand Großbritanniens und der USA gescheitert.
Der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker wies den französischen Vorstoß ebenfalls zurück. "Es wird keine ständige Einrichtung auf Ebene der Staats- und Regierungschefs geben", sagte Juncker. Diese Idee werde niemals die Zustimmung der Mehrheit der Eurogruppe finden. "Was ein Regierungschef braucht, ist ein guter Finanzminister", sagte Juncker. "Und den habe ich." Juncker vereint in Luxemburg beide Ämter in einer Person.
Regelmäßige Treffen der Staats- und Regierungschefs des Eurogebiets sind laut Juncker nicht nötig. "Es wird keine ständige Struktur auf dieser Ebene geben." Angesichts der Schwere der wirtschaftlichen Probleme sei es aber "hin und wieder" angebracht, Treffen auf der Spitzenebene einzuberufen.
Deutsches Konjunkturpakete abgesegnet
Europäische Rückendeckung gab es allerdings für nationale Konjunkturprogramme – auch wenn dafür die von der EU vorgegebene Defizit-Grenze überschritten wird. Die EU-Regeln sehen vor, dass kein Mitgliedsland sich stärker als drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes verschulden darf.
Das deutsche Programm stehe in der Logik, die auf EU-Ebene vereinbart worden sei, sagte Jean-Claude Juncker, der auch Vorsitzender der Finanzminister des Eurogebietes ist. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück habe bei den Beratungen der Ressortchefs deutlich gemacht, dass es nicht darum gehe, ein klassisches Konjunkturprogramm aufzulegen, sondern um gezielte Anreize für einzelne Branchen. Das deutsche Konjunkturprogramm soll am Mittwoch vom Kabinett abgesegnet werden.
Es gebe kein Risiko für die öffentliche Finanzlage in Deutschland, sagte Juncker. Die EU-Kommission erwartet für Deutschland im kommenden Jahr ein kleines Defizit von 0,2 Prozent; Berlin habe also Spielraum.
Europas Wirtschaft könnte schrumpfen
Für die 15 Euro-Länder rechnet die EU-Kommission im kommenden Jahr mit einem mageren Konjunkturplus von 0,1 Prozent, für die 27 EU-Länder mit 0,2 Prozent. Bis Ende des laufenden Jahres wird die Wirtschaft nach Kommissionsangaben sogar schrumpfen. "Wir reden von einer möglichen Rezession in Europa im zweiten Halbjahr und einem komplizierten und schwierigen Jahr 2009", sagte der spanische Finanzminister Pedro Solbes.
Juncker sprach sich angesichts der Krise für Hilfen "für eine Reihe von Sektoren" aus. Dies müsse auf europäischer Ebene so weit wie möglich abgestimmt werden. Ein europäisches Konjunkturprogramm schloss er aber aus "Ich bin aber nicht für ein breit angelegtes 'Belebungsprogramm', wie es die Franzosen nennen oder für ein 'Konjunkturprogramm' nach deutschem Vorbild auf EU-Ebene", sagte Juncker.
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