Wirtschaft: Ein Drittel der Jobsverschwindet
Die Autoindustrie in der Region Stuttgart schrumpft.Tausende Arbeitsplätze verschwinden und damit Wohlstand und Industrie. Das prognostiziert eine neue Studie des IMU-Instituts, die jüngst erstmals öffentlich vorgestellt wurde.
Von Gesa von Leesen
Die Region Stuttgart und Neckar-Alb besitzt das, was Experten ein komplettes Automobil-Cluster nennen: Autobauer, Zulieferer, Dienstleister, Kfz-Gewerbe – alles da. Im vorigen Jahr wurden in diesem Bereich 90 Milliarden Euro Umsatz gemacht, was zwei Drittel des Branchenumsatzes in ganz Baden-Württemberg ausmacht. Etwa 240.000 Männer und Frauen arbeiten in der Branche, das sind 15 Prozent aller 1,6 Millionen Beschäftigten im Südwesten. Die Arbeitsplätze gehören zu den begehrten: meist tarifgebunden und damit hohe Löhne, oft mit Betriebsrat und betrieblichen Alterszulagen. Bekanntlich sorgen gute Löhne dafür, dass auch Geld in Gastro und Einzelhandel ausgegeben werden kann. Und so läuft es auch im Großen und Ganzen gut. Seit Jahrzehnten.
Allerdings wohl nicht mehr lange. Das legt eine neue Studie des IMU-Instituts Stuttgart nahe, die jüngst bei einer Veranstaltung des Linken-Bundestagsabgeordneten Bernd Riexinger erstmals vorgestellt wurde. Jürgen Dispan und Sylvia Stieler vom IMU-Institut, das seit 1981 arbeitsorientierte Forschung und Beratung anbietet, haben sich für die Studie konkret mit der Region Stuttgart und Neckaralb beschäftigt. Und sie prognostizieren eine besorgniserregende Entwicklung.
Die Gründe für die trüben Aussichten: Die Digitalisierung von allem nur Denkbaren – von zahlreichen Gimmicks im Auto bis hin zum autonomen Fahren – und der Wechsel hin zum Elektroauto sorgen für tiefgreifende Änderungen in der Branche. Und die werden Arbeitsplätze kosten, sagen Stieler und Dispan, selbst wenn die Autofirmen schneller werden würden beim Umbau. Einfach weil weniger Menschen benötigt werden, um E-Autos zu bauen, denn ein Elektromotor ist deutlich einfacher und hat weniger Teile. In nicht mal 20 Jahren, also bis 2040, muss demnach mit 83.000 weniger Jobs im Auto-Sektor gerechnet werden. Das wäre ein Drittel weniger als bisher. Eingerechnet sind da bereits die Jobs, die neu entstehen könnten: beim autonomen Fahren – vor allem in der IT –, in der Batterieindustrie sowie beim dringend notwendigen Ausbau der Ladeinfrastruktur. Ein Szenario, das Assoziationen an das Schicksal von Detroit wachruft; mit dem Niedergang der Automobilindustrie ab den 1970er Jahren verarmte die einst blühende US-amerikanischen Großstadt massiv und verlor über die Hälfte ihrer Bevölkerung.
Ihre Prognose wagen die beiden Forschenden auf Grundlage einer Untersuchung für die Autobranche für ganz Baden-Württemberg, die sie 2022/23 für das Cars 2.0 Projekt (siehe Kasten) erstellt haben. Ihr Ergebnis beruht allerdings auf der Annahme, dass die Autoindustrie die doppelte Transformation (E-Auto und autonomes Fahren) einigermaßen hinbekommt. Zudem gehen sie in ihren Berechnungen, in die zusätzlich umfangreiche Interviews mit Fachleuten eingeflossen sind, davon aus, dass 2040 genauso viele Autos verkauft werden wie heutzutage. Mit einer Verkehrswende rechnen Stieler und Dispan also nicht, mit den Klimazielen der EU schon. Sie beziehen ein, dass ab 2035 keine neuen Verbrenner-Pkw mehr zugelassen werden dürfen.
Amazon statt Bosch?
Außer auf neue Technologien zu setzen, müssten die Autohersteller und Zulieferer auch sich verändernde Märkte berücksichtigen, so die Studie. Der Prozess grenzenloser Globalisierung scheint gerade seinem Ende entgegenzugehen. Der künftige US-Präsident Donald Trump will Zölle auf ausländische Waren, die EU will Zölle auf die stark staatlich subventionierten chinesischen Autos, China wiederum droht mit Gegenzöllen. Gleichzeitig sei eine doppelte Internationalisierung zu beobachten, „marktgetriebenes Local-for-local in den Weltregionen und kostengetriebene innereuropäische Verlagerung in sogenannte Best-Cost-Countries“, heißt es in der Studie. „Local-for-local“ bedeutet, es soll dort produziert werden, wo die Produkte verkauft werden; und dass Unternehmen Produktion in billigere Länder in Osteuropa verlagern, ist ein Trend, der hierzulande schon seit Langem zu beobachten ist.
Schwierige Bedingungen also. Und die derzeitigen Entwicklungen lassen eher befürchten, dass die hiesige Autoindustrie ihr Engagement für die Transformation drosselt. Die aktuellen Pläne zahlreicher Firmen der Autobranche, Tausende von Arbeitsplätzen abzubauen und ganze Werke zu schließen, verunsichern nicht nur die Beschäftigten – die nun etwa bei VW begonnen haben zu streiken. Dort hatte das Management unter VW-Chef Oliver Blume (Vergütung 2023: 10,32 Millionen Euro) verkündet, ganze Werke zu schließen. Das verstehen die Belegschaften und die IG Metall nicht als Sparmaßnahme, sondern als Angriff auf sie, ihre Arbeitsplätze und Tarifverträge. Wenn das VW-Management sich durchsetzt, dürften andere Autohersteller das zudem als Ermunterung verstehen, ähnlich zu agieren.
Irritierend sind dabei besonders Ankündigungen wie jene kürzlich von Bosch, mehr als 5.000 Arbeitsplätze zu streichen – auch in den vom IMU genannten Zukunftsfeldern autonomes Fahren und E-Auto. Warum ausgerechnet da? „Es wäre eine spannende Frage, zu schauen, ob es da neue Kooperationen der Autohersteller gibt mit Tech-Konzernen wie Alphabet oder Amazon oder ähnlichen“, sagt die Sozialwissenschaftlerin Stieler. „Vielleicht orientieren sie sich um, weg von ihren klassischen Zulieferern wie Bosch? Vielleicht sagen sie: Wir kriegen das autonome Fahren mit all den erforderlichen Daten so nicht hin, sondern müssen mit anderen Tech-Konzernen zusammenarbeiten.“ Ob dem so ist, lässt sich auch für das IMU aus den üblichen Quellen nicht so einfach erschließen, ergänzt sie. „Aber wir rechnen damit, dass die Wertschöpfungsketten sich verändern. Zum einen durch die Batterie, die viel Wertschöpfung nach Asien verlagert und die wir jetzt mehr oder weniger mühsam nach Europa zurückholen, aber auch beim autonomen Fahren.“
Und jetzt – was tun?
Das Ziel der Untersuchung ist allerdings nicht nur, Daten zu erheben und Prognosen abzugeben. Vielmehr will sie den Akteuren in der Region Handlungsempfehlungen geben, um Wertschöpfung und Beschäftigung in den Regionen zu sichern. Also: was tun?
Für neue Technologien brauchen Firmen Flächen. Schließlich müssten sie in der Regel Parallelstrukturen aufbauen. Schlicht gesagt: Man kann nicht in einer Halle sein gewohntes Produkt beenden und am nächsten Tag dort ein neues bauen. Flächen aber sind gerade in der Region Stuttgart Mangelware, also müssten verstärkt Brachflächen oder bereits leere Firmengebäude reanimiert werden, erklärten Stieler und Dispan bei der Vorstellung der Studie. Dringend sei der verstärkte Ausbau erneuerbarer Energien, denn Autokonzerne verlangten zunehmend von ihren Zulieferern Erneuerbare zu nutzen, doch in Baden-Württemberg sei das nicht gegeben.
Vor allem die Zuliefererunternehmen, oft mittelständische Maschinen- und Werkzeugmaschinenbauer, bräuchten zudem einen besseren Zugang zu Geld. Hier müsste die Kreditvergabe unternehmensfreundlicher geregelt werden. Denn zunehmend hörten die Firmen von ihren Banken, sie bekämen kein Geld, weil sie ja für den Verbrennermotor produzierten. So geraten sie in Schwierigkeiten, die überbrückt werden müssten. Außerdem wichtig: Qualifizierung der Beschäftigten, Ladeinfrastruktur ausbauen und zwar hurtig und parallel dazu das Recycling von Autobatterien.
Politisches Hin und Her stoppt Innovationen
Am Ende ist es die Politik, die Weichen stellen muss, und zwar mit klaren Ansagen, die nicht nach ein, zwei Jahren wieder zurückgezogen werden. Bei der Elektromobilität habe das ja funktioniert, sagt Stieler. „Bis vor drei, vier Jahren war die deutlich politisch getrieben. Die Automobilunternehmen haben sich darauf eingestellt, und wir hatten ja auch einen hohen Anteil an Elektrofahrzeugen.“
Der Verkauf sei dann in diesem Jahr eingebrochen, nachdem die Prämie gestrichen worden war, CDU und FDP dauernd von Technologieoffenheit redeten und Stimmen laut wurden, das Verbrenner-Aus hinauszuschieben. Stieler: „Wenn man mit Autoherstellern spricht, sagen die schon, wenn die Politik uns klare Ziele vorgibt, setzen wir die auch um. Aber sobald sie Schlupflöcher sehen, lassen sie es einfach bleiben und gucken, dass sie mit ihrem bisherigen Geschäft, mit dem sie ja über Jahrzehnte gut gefahren sind, weiterhin gut fahren.“
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