■ Wird der Pestizidlobby in Brüssel nun ein Blankoscheck zur Vergiftung unseres Trinkwassers ausgestellt?: Giftspritzer wollen durch den Keller
Wenn die Haustür verrammelt ist, versucht der Dieb in der Nacht es durch die Kellertür. Wie der verhält sich derzeit die Pestizidlobby in Brüssel. Weil die Bürgerinnen und Bürger schon vor Jahren genug von Gift im Trinkwasser hatten, setzt eine Trinkwasserrichtlinie seit 1980 strenge Standards. Die Haustür ist einigermaßen verrammelt, auch wenn die Industrie neuerdings immer öfter an ihr rüttelt. Bewacht wird sie zudem von den Umwelt- oder Gesundheitministern, die in dieser Hinsicht ein widerständiges Pack sind.
An der Kellertür nun haben die Brüsseler Chemielobbyisten die Agrarminister entdeckt. Die fühlen sich ihren Bauern verpflichtet, und wenn man ihnen billiges Gift verspricht, werden sie ganz zutraulich. Der griechische Minister war sogar so zugänglich, daß er eine schon mehrfach abgelehnte Lockerung der Pestizidrichtlinie zum Schluß seiner Präsidentschaft noch mal zur Verabschiedung auf die Tagesordnung setzte.
Die 700 heute in Europa eingesetzten Pestizide sollen danach auf ihre Zulässigkeit und Ungefährlichkeit überprüft werden. Doch was so positiv klingt, ist nichts weiter als eine Blankoerlaubnis, Europas Wasser zu vergiften. Statt daran festzuhalten, daß Pestizide das Grundwasser nicht schädigen dürfen, sähe die europäische Vorsorge künftig so aus: Unkrautvernichter dürften weiter eingesetzt werden, bis ein negatives Urteil über sie gesprochen ist. Landwirte und Industrie erhielten für fünf Jahre sogar ein Recht zum Spritzen, wenn für das Gift noch nie eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen worden ist. Und fällt das Urteil im lobbydominierten Brüssel positiv aus, könnten sogar in der Bundesrepublik schon verbotene Pestizide wie Atrazin oder DDT wieder zum Einsatz kommen.
Der griechische Vorschlag ist für manche Pestizidhersteller und Bauern äußerst verlockend. Ersatzstoffe für das in Deutschland verbotene Maisspritzmittel Atrazin sind zum Beispiel wesentlich teuer. Die Bauern zahlen den höheren Preis nur ungern, viele von ihnen würden eine Wiederzulassung begrüßen, zumal Atrazin in den Nachbarländern noch eingesetzt werden darf.
Um so wichtiger ist es, den deutschen Landwirtschaftsminister und seine europäischen Kollegen daran zu erinnern, daß ihre erste Aufgabe der Schutz von Mensch und Umwelt ist, also auch des Wassers, das wir trinken. Das meiste, was heute auf die Felder gesprüht wird, kommt früher oder später im Grundwasser an und landet dann als Trinkwasser wieder beim Menschen. Schon heute steigt die Zahl der Fehlgeburten gerade dort, wo die Giftspritzer besonders fleißig sind. Oder drastischer: Wenn die Lobbyisten diesmal an der Kellertür durchkommen, spritzen wir uns selbst zu Tode. Hermann-Josef Tenhagen
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