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Wird das Fliegen billiger?

■ EG–Minister wollen Durchbruch zu mehr Wettbewerb schaffen / Verbraucherverbände beurteilen Verbilligung skeptisch

Brüssel (dpa/taz) - Seit Jahren dringt die Europäische Gemeinschaft auf mehr Wettbewerb unter den Fluggesellschaften. Das Netz von Preisabsprachen unter den Fluglinien soll aufgebrochen und das Fliegen in Europa billiger werden. Jetzt scheint der Moment der Entscheidung gekommen: Die EG–Verkehrsminister wollen an diesem Dienstag - spätestens aber auf ihrem zweiten Treffen am 24. Juni - in Luxemburg den Durchbruch schaffen und den Konkurrenzkampf in Bewegung bringen. Seit Jahrzehnten gilt im europäischen Luftverkehr ein System, das den Unternehmen hohe Flugpreise garantiert, in dem für Wettbewerb aber nur wenig Platz ist. Die Gesellschaften sprechen Flugpläne, Tarife und die Aufteilung der Sitzplatz–Kapazitäten untereinander ab und lassen diese Vereinbarungen von den Regierungen der betroffenen Staaten genehmigen. Der für Wettbewerb zuständige EG–Kommissar Peter Sutherland sagt: „In Europa gibt es ungefähr 325 bilaterale Abspra chen zwischen 26 Ländern. Die Absprachen schließen einen Preiswettbewerb aus und halten neue Unternehmen vom Markt fern. Der Flugverkehr in der Gemeinschaft ist ein einziges Kartell.“ Die Folge: Die Flugpreise in Europa sind höher als in fast allen anderen Teilen der Welt. Ein Amerikaner zahlt nach Angaben von Sutherland zum Beispiel durchschnittlich nur 40 bis 75 Prozent von dem, was ein Europäer auf einer vergleichbaren Strecke für sein Ticket ausgeben muß. Die EG–Verkehrsminister wollen jetzt einen ersten Schritt zur Liberalisierung des Luftverkehrs in der Gemeinschaft tun. Das geplante Maßnahmenpaket sieht unter anderem vor: Einführung von Rabatt– und Superrabatt–Tarifen; Ermäßigungen für Familien, Senioren und junge Leute; Regeln für die Zulassung neuer Fluglinien; Abbau von Kapazitätsabsprachen. Ob die Flugpreise in der EG nach einem Ministerbeschluß wirklich fallen, ist unter den Experten umstritten. Sutherland erwartet, daß nach einem Ministerbeschluß „die Folgen für den Flugpassagier sofort spürbar“ werden. Die europäischen Verbraucherverbände befürchten sogar Verschlechterungen für die Fluggäste: Für Flüge von Amsterdam oder Brüssel nach Athen gebe es schon jetzt Sondertarife, bei denen 24 Prozent des normalen Flugpreises zu zahlen sei. Das EG– Vorhaben sehe dagegen nur Spezialtarife von günstigstenfalls 45 Prozent des Normalpreises vor. „Unter diesen Umständen ist es für die Verbraucher besser, wenn überhaupt kein Beschluß gefaßt wird“, erklärten die Verbände. Das Tauziehen um die Belebung des Wettbewerbs über den Wolken dauert seit acht Jahren an. Die EG–Kommission legte 1979 die ersten Vorschläge vor. Da die EG–Minister sich in Brüssel nicht einigen konnten, vereinbarten Großbritannien und die Niederlande - die energischsten Verfechter einer Liberalisierung - im Juni 1984 von sich aus, Wettbewerbseinschränkungen aufzuheben. Auf der Route Amsterdam– London, die seither als die „freieste außerhalb der USA“ gilt, boten 17 neue Fluglinien ihre Dienste an. Die Tarife sanken um bis zu 50 Prozent. Die Kehrseite des Experiments: Die angebotene Sitzplatz–Kapazität stieg um 30, das Passagieraufkommen aber nur um acht Prozent. Die Sitzreihen in den Flugzeugen sind immer spärlicher besetzt. Nach einer Prognose des Chefs der skandinavischen SAS, Jan Carlzon, werden im Wettbewerb der neunziger Jahre in Europa nur fünf Airlines überleben. geo

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