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Archiv-Artikel

Wird Joschka Fischer jetzt Papst?

Ein altes Gerücht wird aufgewärmt: Außenminister Joschka Fischer will 2004 angeblich Nachfolger von Romano Prodi als Chef der EU-Kommission werden, und ausgerechnet der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer soll das ausgeplaudert haben

von JENS KÖNIG

Joschka Fischer hält sich prinzipiell für jeden politischen Posten auf dieser Welt geeignet. So muss einer vielleicht denken, der vor fünfundzwanzig Jahren noch Taxi gefahren ist und sich als Autodidakt zum deutschen Außenminister emporgearbeitet hat. Fischer wird nicht einmal rot im Gesicht, wenn er gefragt wird, was er davon halte, dass er gerade mal wieder als neuer UN-Generalsekretär im Gespräch ist. Wenn Fischer gut gelaunt ist – das soll vorgekommen sein –, antwortet er: „Ich bin katholisch. Ich kann auch Papst werden.“

Wer mit so viel Bescheidenheit gesegnet ist, der wird prinzipiell auch mit jedem politischen Posten von Belang in Verbindung gebracht. Das konnte die Welt am Sonntag nicht davon abhalten, am zurückliegenden Wochenende so zu tun, als wisse sie genau, was Fischer in seiner Karriere demnächst vorhat. Der Außenminister wolle 2004 als Nachfolger von Romano Prodi Präsident der EU-Kommission in Brüssel werden, vermeldete das Springer-Blatt die Sensation auf Seite 1. Die WamS präsentierte ihre Geschichte nicht als Gerücht, das so jeder Parlamentskorrespondent in Berlin im letzten halben Jahr schon mal gehört hat, sondern als harte Nachricht. Als Quelle zitierte die Zeitung den Vorsitzenden der Grünen, Reinhard Bütikofer. Der soll die Personalie am 1. November – damals war Bütikofer noch Bundesgeschäftsführer der Grünen, wusste aber bereits von seiner Ablösung durch Parteichef Fritz Kuhn – in einer vertraulichen Runde von Politikwissenschaftlern und Meinungsforschern verraten haben.

Man kann es kurz machen: Die Geschichte ist falsch. Dazu braucht es nicht das Dementi des Außenministeriums, das den Bericht als „Blödsinn“ bezeichnet. Am 1. November 2002 hatten sich im Sony Center in Berlin rund 25 Meinungsforscher und Politologen sowie genau sechs Journalisten zu einem nichtöffentlichen Workshop getroffen, um über die Kampagnen im Bundestagswahlkampf 2002 zu debattieren. Als Gäste waren Matthias Machnig und Reinhard Bütikofer, die Wahlkampfchefs von SPD und Grünen, sowie Michael Spreng, der Wahlkampfberater von Edmund Stoiber, anwesend. Jeder der Teilnehmer – außer ein vergesslicher Professor – wird sich erinnern, dass Bütikofer kein Wort über Fischers Europapläne verlor. Er sprach sehr offen über die Kampagne der Grünen und deren Konsequenzen für die nächste Bundestagswahl. Dabei ließ er den Satz fallen: „Ich glaube nicht, dass Fischer 2006 noch einmal als Spitzenkandidat antreten wird.“ Das war als persönliche Einschätzung Bütikofers zu verstehen, nicht als Ankündigung eines grünen Geheimplans.

Anschließend sprach der Parteienforscher Joachim Raschke. Raschke vertrat auf dem Workshop die These, dass es in Deutschland nicht länger eine strukturelle Mehrheit einer Partei oder eines Lagers gebe. Vielmehr bevorzuge eine kulturelle Mehrheit in der Bevölkerung Rot-Grün, und eine ökonomische Mehrheit tendiere zu Schwarz-Gelb. Vor diesem Hintergrund, sagte Raschke, sei es unverständlich, warum Fischer bei den Koalitionsverhandlungen kein viertes Ministerium für die Grünen gefordert habe. Das Familienministerium wäre im Sinne dieser kulturellen Mehrheit für die Grünen von strategischer Bedeutung gewesen. Als Motiv für diesen Verzicht machte Raschke Fischers Karrierepläne aus. Fischer sehe seine Zukunft in Europa. Deutschland sei ihm zu klein geworden, und der Weg zur Kanzlerschaft sei ihm als Grünem versperrt. Mit seiner „Bescheidenheit“ habe sich Fischer für den Fall der Fälle die Gunst Gerhard Schröders gesichert. Raschke ist ein exzellenter Kenner der Grünen, aber auch er weiß nicht alles. Seine Ausführungen sind eine mögliche Lesart der Ereignisse – es gibt auch andere. Schon gar nicht handelt es sich um Gewissheiten.

Man könnte die Geschichte noch länger machen. Man könnte darüber reden, dass Joschka Fischer ganz bestimmt Europa im Kopf hat. Dass er aber auch weiß, dass man als Grüner nicht mal eben so Chef der EU-Kommission wird, und schon gar nicht im Jahre 2004, wo die zweite rot-grüne Koalition gerade mal die Hälfte ihrer Amtszeit rum hat und Schröder wohl kaum auf Fischer verzichten wird. Gesichert ist nur, dass Joschka Fischer über seine Karrierepläne nur mit einem redet: mit sich selbst.