: Wird Bolle nach Ost-Berlin verkauft?
■ Es geht auch andersrum: DDR-Handelsbetrieb will Berliner Teil des hochverschuldeten Einzelhandelskonzerns coop übernehmen / Der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen ist dies lieber als eine direkte Übernahme durch den coop-Konkurrenten Rewe
Berlin/Frankfurt. In West-Berlin steht die erste spektakuläre Übernahme einer Handelskette durch ein Unternehmen aus der DDR bevor. Wie gestern bekanntgeworden ist, soll der gesamte Geschäftsbereich des hochverschuldeten coop-Einzelhandelskonzerns aufgeteilt und verkauft werden. Ein großer Teil der westdeutschen Filialen soll an den Rewe -Konzern veräußert werden.
Die Berliner Filialen gehen nach dem Konzept, das unter Federführung der Frankfurter „Deutschen Genossenschaftsbank“ in der Nacht gestern verabschiedet wurde, an den in Ost -Berlin ansässigen Verband der Konsumgenossenschaften (VdK). Der VdK ist nach der Handelsorganisation (HO) die zweitgrößte Einzelhandelsorganisation der DDR. Diese Übernahme sei in das Konzept der Übernahme westdeutscher Filialen durch den Rewe-Konzern durchaus integrierbar, sagte der DG-Vorstandsvorsitzende Helmut Guthardt. Sie soll bis zum November realisiert werden.
Coop-Berlin mit seinen Bolle-Filialen - der Vertriebsbereich von Bolle ist 1987 von coop übernommen worden - in den Händen des DDR-Unternehmens VdK? Der Betriebsratsvorsitzende der coop, Fritz Bärtschi, in der Moabiter Bolle-Zentrale reagierte auf diese Nachricht zunächst gelassen. In den vergangenen Jahren sei man durch Übernahmen und Übernahmegerüchte so häufig erschreckt worden, daß man es nur begrüßen könne, wenn über die Zukunft des Berliner coop-Unternehmens endlich Klarheit bestehen würde. Allerdings müsse darauf geachtet werden, sagte Bärtschi, daß das gesamte Unternehmen einschließlich der zentralen Verwaltung, der Zentrallager und des Fleischwerkes in der Haberstraße übernommen und weitergeführt würde und nicht nur die Verkaufsfilialen. Immerhin ständen 2.500 Westberliner Arbeitsplätze auf dem Spiel. Würden die durch den neuen Chef im Hause coop/Bolle gesichert, sei es egal, wie der Käufer heiße und ob er aus der DDR komme.
Daß durch die mögliche neue Ostberliner Unternehmensführung eventuell in Zukuft Ostberliner Arbeitnehmer bei coop zu schlechteren finanziellen und arbeitsrechtlichen Bedingungen eingestelt werden könnten, befürchtet Bärtschi vorerst nicht. Ob allerdings mit dem Inkrafttreten des Staatsvertrages zwischen der DDR und der BRD am 1. Juli auch das gesamte Betriebsverfassungsgesetz der BRD in der DDR Gültigkeit erlangt, weiß man beim Betriebsrat der coop noch nicht. Eventuell müsse man bei den Verhandlungen für die VdK ein „gesondertes Absatzgebiet West-Berlin“ installieren, das das Unterlaufen von Bestimmungen des BRD -Betriebsverfassungsgesetzes verhindern könne, meinte Bärtschi.
Bei der Gewerkschaft Handel Banken und Versicherungen war man gestern noch überrascht von den Plänen des coop -Hauptaktionärs DG-Bank, den Berliner coop-Teil an die VdK zu veräußern. Das Sanierungspaket für die coop - Verkauf westdeutscher Filialen an Rewe und der Verkauf der Berliner Filialen an den VdK - sei jedoch schlüssig, weil bekannt sei, daß sich der Rewe-Konzern in der DDR engagieren wolle.
Es gebe zudem auch Pläne des Rewe-Konzerns, den VdK mit Waren zu beliefern. Die Übernahme sei zu begrüßen, wenn damit die Westberliner Arbeitsplätze gesichert würden. Ein direkter Kauf der Berliner coop zum Beispiel durch den Rewe -Konzern wäre dagegen auf den Widerstand der HBV gestoßen, weil Rewe als Konkurrent der coop bekanntermaßen nur an dem Filialnetz und nicht an den nachgeordneten Betrieben interessiert sei.
Wie die coop-Mitarbeiter auf die Übernahmepläne reagieren werden, mochte coop-Betriebsratsvorsitzender Bärtschi nicht voraussagen. Stellungnahmen vom VdK und von der Geschäftsleitung des coop-Konzern lagen bis Redaktionsschluß gestern nicht vor. Viele Kollegen und Kolleginnen seien allerdings schon persönlich betroffen und frustiert gewesen, als im Jahre 1987 mit der Übernahme von Bolle durch coop der alteingesessene Genossenschaftsbetrieb coop seinen Namen in Bolle-Filialen hat ändern müssen.
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