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Wirbel um Polygamie in Kenia

Frauen versuchen, Eheschließungen zu verhindern: mit dem Bräutigam vor dem Traualtar seien sie nach Stammesrecht verheiratet  ■  Von Christa Wichterich

Neuer Frauensport am Samstag in Kenia“, witzeln die Tageszeitungen: Hochzeiten verhindern. Zwei Frauen verhinderten in letzter Minute die kirchliche Trauung ihrer Ehemänner. Die erste brachte eine einstweilige Verfügung eines Gerichts, die der Pastor als weniger frohe Botschaft vom Altar verlas. Die zweite marschierte mit ihren vier Kindern in die Kirche und gebot dem Eheversprechen lautstark Einhalt.

Seitdem versuchen am Wochenende, wenn die meisten Hochzeiten stattfinden, immer wieder Frauen Eheschließungen zu verhindern, manche mit Erfolg, manche ohne. Sie alle behaupten, daß sie mit dem jeweiligen Bräutigam nach traditionellem Stammesrecht verheiratet sind und weisen Geburtsurkunden von Kindern vor, in denen die besagten Bräutigame die Vaterschaft anerkannt haben. Mit ihren Protestaktionen demonstrieren sie, daß sie nicht mehr bereit sind, bei dieser gesellschaftlich akzeptierten Form der Polygamie mitzuspielen.

Daraufhin ging ein Aufschrei durch die kenianische Öffentlichkeit: Wo soll das enden, wenn Frauen gegen die in Stadt und Land verbreitete Praxis von „inoffiziellen“ Ehen nach Stammesrecht und „offiziellen“ Trauungen durch die Kirche vorgehen können? Wenn die große Zahl alleinerziehender Mütter gar Unterhaltszahlungen von den Vätern ihrer Kinder einklagen würden?

Die Vaterschaft bestreiten die Herren keineswegs, wohl aber, daß eine Hochzeit mit ihren „Freundinnen“ stattgefunden habe. Plötzlich weiß niemand mehr genau, wann eine Ehe nach Stammesrecht geschlossen ist und wann nicht: wenn der Bräutigam einen Brautpreis gezahlt hat, eine Zeremonie mit den beiden Familien stattfand, der Mann die Vaterschaft für gemeinsame Kinder anerkannte oder reicht das alles nicht? Selbst das Gericht, das den Einspruch der Klägerin mittlerweile zurückwies, zeigte sich in dieser Frage verwirrt und entschied zugunsten des verhinderten Bräutigams: er darf nun doch. Nach der ersten allgemeinen Verunsicherung in Sachen Polygamie geht daraufhin ein Seufzer der Erleichterung durch Kenia. Die Frauen sind in ihre Schranken verwiesen.

Viele Männer in Ostafrika verteidigen die Vielehe vehement. Sie wissen warum: mehrere Frauen garantieren ihnen, besonders wenn sie zwischen Dorf und Stadt pendeln, eine Rundumversorgung mit Arbeitskräften und Dienstleistungen. Für die Frauen - vor allem die in den Städten - wird es jedoch immer schwerer, ihre Kinder allein durchzubringen. An ein arbeitsteiliges Zusammenleben mehrerer Frauen, wie das früher auf dem Land möglich war, ist in den Städten nicht mehr zu denken. So mucken denn auch Stadtfrauen immer häufiger auf und werden „allzu fordernd“, wie die Presse beklagt.

Die Männer dagegen bekamen Schützenhilfe aus Kreisen, wo man eher Beführworter der Monogamie vermutet: von Vertretern der anglikanischen Kirche. Zwar wird seit über hundert Jahren darüber gestritten, ob Christentum und Vielehe einander auschließen. Missionare verweigerten Polygamisten die Taufe und exkommunizierten Abtrünnige. In der Vergangenheit hatte die Frage, ob die Absage an die Vielehe zur Feuerprobe des wahren Glaubens gemacht werden solle, des öfteren zu Abspaltungen von den großen Kirchen und zu Sektengründungen geführt. Oft wurde jedoch ein Auge zugedrückt und gehofft, daß die Polygamie im Laufe der Zeit von selbst aussterben würde. Doch weit gefehlt, die Polygamie ist nicht totzukriegen, und die christlichen Kirchen stecken in Afrika immer noch in dem Konflikt zwischen reiner Lehre und Seelenfang.

Die Verteidiger der Vielehe unter den Kirchenmännern argumentieren, daß die Bibel kein ausdrückliches Verbot von Mehrehen enthalte und die Einehe eine europäische, nicht aber per se eine christliche Praxis sei. Als die anglikanische Bischofskonferenz in Canterbury die Ordination von Frauen als Priester und Bischöfe diskutierte, brachten afrikanische Bischöfe die alte Streitfrage der Polygamie als „für Afrika wesentlich brennenderes Problem“ wieder ins Gespräch.

Allen voran forderte der kenianische Bischof Gitari, daß die Kirche Polygamie fortan tolerieren solle. Auch der südafrikanische Bischof Tutu plädierte für die Taufe von Polygamisten, aber forderte, daß sie sich danach auf eine Frau beschränken müssen. Gitari widersprach: „Das ist ein größeres Übel, als alle Frauen zu behalten.“

Trotz dieser Verwirrung gaben die Anglikaner in Canterbury schließlich nach 100 Jahren ihr Okay: eine Mehrehe soll in Zukunft kein Hindernis mehr für eine Taufe sein. Zwar wurde betont, daß Monogamie das eigentlich gottgewollte Verhältnis zwischen Mann und Frau ist. Den afrikanischen Männern wird jedoch noch Zeit gegeben, sich diesem göttlichen Ideal anzunähern.

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