„Wir wollen konstruktive Unruhe stiften“

■ Besuch beim Redaktionskollektiv des Kuckucksei, einer „vorlagepflichtigen“ Gefangenenzeitung der JVA Schwerte / Schreiben als Diskussionsforum innerhalb der Mauern, als Möglichkeit der Veränderung untereinander und solidarische Auseinandersetzung mit und Kritik am Strafvollzug Von Hannes Kraus und Georg Seemann

Knastzeitungen sind meist schlichte Blättchen, in denen die InsassInnen sich übers Essen beklagen, für die Laienspielgruppe werben oder Gedichte veröffentlichen dürfen. Mit Schülerzeitungen teilen sie das Schicksal, außerhalb der Anstalt nicht oder kaum gelesen zu werden; im Gegensatz zu jenen werden sie jedoch in der Regel vom Anstaltsleiter zensiert. Sind Knastzeitungen Spielwiesen für Erwachsene oder ein Element des sozialpädagogischen Vollzugs, den das vor zehn Jahren in Kraft getretene Strafvollzugsgesetz propagierte? Ein Blick auf das Kuckucksei, die „vorlagepflichtige Gefangenenzeitung der Justizvollzugsanstalt Schwerte“, kann bei der Antwort auf diese Frage helfen - und zugleich dazu beitragen, das Thema Strafvollzug nicht länger nur den Rachefanatikern in diversen CDU/CSU–Landesregierungen zu überlassen, die derzeit mit einer konzertierten Polemik gegen die Strafvollzugsreform das alte Zuchthaus wieder einführen wollen. Von außen wirkt der flache, weitläufige Betonkomplex am Ortsrand von Schwerte–Ergste wie irgend ein öffentliches Anwesen: Fabrik, Psychiatrie, Gesamtschule, Krankenhaus? Erst die Empfangsprozedur (Tausch des Personalausweises gegen eine Blechmarke, Durchsuchung auf Waffen und ähnlich Illegales) verweisen auf den Zweck des Gebäudes. Gerade fährt ein grüner Bus durch die Schleuse, hinter kleinen Gitterfensterchen ein paar blasse Gesichter. Im Wartezimmer des Besuchertraktes spielen Kinder, die Mutter steht gelangweilt am Fenster, sie ist wohl nicht zum ersten Mal hier. An der Wand ein Glasschrank mit Pokalen und Selbstgetöpfertem; sichtbarer Beweis fürs sportliche und kulturelle Engagement, das hier gepflegt wird. Der Anstaltsleiter hatte uns wissen lassen, daß wir die Kuckucksei–Redaktion besuchen dürfen; Allerdings werde er „bei den Befragungen der als Redakteure tätigen Gefangenen zugegen sein und dabei auch selbst zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung stehen“. Regierungsdirektor Schulz empfängt uns mit der Ermahnung, beim Rundgang „keine Sicherungseinrichtungen“ (also auch keine Gitter) zu fotografieren. Fast stolz berichtet er von seinem Knast: 287 Plätze für „Langstrafer“, vorzugsweise „weniger kriminell Gefährdete“ (d.h. oft sogenannte Erst– oder Konflikttäter); „Leute aus allen sozialen Schichten“, 20 Nationalitäten, zur Zeit etwa 40 Lebenslängliche. Die Anstalt wurde vor 15 Jahren gebaut und als Untersuchungsgefängnis konzipiert. Deshalb, so Schulz, fehle es leider an Gemeinschaftsräumen, dafür habe man eigene Werkstätten, eine Schulabteilung, eine Kirche, diverse Sport– und eine Laien spielgruppe. Ja, und natürlich diese Zeitung. Seiner Meinung nach werde vielleicht ein bißchen viel Aufhebens um sie gemacht, schließlich gebe es so etwas nicht nur in Schwerte. Selbstverständlich fördere man die Zeitung: das Papier für die im Haus verteilten Exemplare bezahle die Anstalt, seit neuestem stelle man sogar zwei Gefangene als hauptamtliche Redakteure von der üblichen Arbeit (Toaster montieren) frei, bezahle ihnen trotzdem die üblichen 6 Mark 86 am Tag. „Aufgrund von Vorschriften des Justizministers des Landes Nordrhein–Westfalen als Ausfluß des §156 des Strafvollzugsgesetzes sei allerdings der Anstaltsleiter Herausgeber der Zeitung. Allein schon aus „Fürsorgepflicht“ gegenüber Beamten und Insassen müsse er alle Beiträge vor der Veröffentlichung lesen, manche herausnehmen, andere zurückstellen oder kommentieren: „Wenn zuviele Kommafehler drin sind, korrigiere ich auch mal die Rechtschreibung“. Zensur könne man das nicht nennen. In zwei winzigen Räumen (ehemalige Arrestzellen) erwarten uns ein paar Mitglieder der Kuckucksei–Redaktion: Detlef Kruklinski (36 Jahre alt, seit 14 Jahren inhaftiert „wegen eines Tötungsdelikts“, lebenslänglich), Ralf Sonntag (31 Jahre, lebenslänglich wegen Mordes), Dieter Deutscher (lebenslänglich). Jeden Sonntag–vormittag ist hier Redaktionssitzung. Außer den beiden hauptamtlichen, für die Zeitung von der Arbeit freigestellten, gibts zwölf weitere Redaktionsmitglieder. Gemeinsam werden die nächsten Hefte geplant, Artikel abgetippt, Briefe geschrieben (die Korrespondenz mit Häftlingen anderer Anstalten wird sehr ernst genommen) und schließlich die Kuckuckseier gedruckt (auf einer geliehenen Offset–Maschine). Die Zeitung erscheint sechsmal im Jahr, dazu kommt eine sogenannte „Kreativ–Sondernummer“, die ausschließlich literarische Texte und Zeichnungen enthält. Meist haben die Hefte ein Schwerpunktthema (wie Sexualität, Arbeit, Strafvollzugsreform), immer einen sogenannten „Kreativteil“. Die Zeitung hat mittlerweile eine Auflage von 2.000 Stück, d.h. sie wird auch in anderen Knästen und draußen gelesen. Mit den Abonnenten korrespondiert man regelmäßig. Druck und Papier für die nicht im Haus verteilten Hefte müssen durch Spenden finanziert werden; bislang ist das immer gelungen. Alle, mit denen wir sprechen, betonen, wie wichtig es für sie ist, als Gruppe aufzutreten. Nicht minder wichtig ist die Erfahrung, ernst genommen zu werden: immerhin haben schon Luise Rinser, Erhard Eppler und andere fürs Kuckucksei geschrieben. Mit Unterstützung eines ehrenamtlichen Gefangenenbetreuers (Reiner Padligur von der Christlichen Arbeiterjugend in Dortmund) und eines Verlagsvertreters (Georg Leifels) ist aus der Zeitungsarbeit ein kleiner Verlag hervorgegangen. Ein Dutzend Titel wurden bislang publiziert, „Texte aus dem Strafvollzug“ und andere Literatur von Außenseitern. Im Mittelpunkt des Programms stehen zwei Anthologien: „Aufbruch“, herausgegeben von einer Autorengemeinschaft, und „Laßt mich leben - Frauen im Knast“, von Luise Rinser als Herausgeberin. Detlef Kruklinski hat einen Briefwechsel „Überleben“ veröffentlicht, Ralf Sonntag ein Bändchen mit Erzählungen (“Grenzwechsel“); äußerst lesenswert sind auch die Texte von Felix Kamphausen. Kamphausen war auch der Initiator von Zeitung und Verlag. 1973 in einem ebenso spektakulären wie fragwürdigen Prozeß wegen Mordversuchs zu lebenslanger Haft verurteilt, wurde er vor knapp zwei Jahren begnadigt, weil sich zahlreiche bekannte AutorInnen für ihn eingesetzt hatten. Nachdem er mit seinen Büchern „Der Sprung“, „Transport“, „Zu früh - zu spät“ u.a. Erfolg hatte - die Honorare sind alle in den chronisch defizitären Padligur–Verlag geflossen - bemühte er sich, auch andere zum Schreiben zu motivieren; Detlef Kruklinski und Ralf Sonntag sind gewissermaßen seine Schüler. Detlef wird in Kürze in den offenen Vollzug verlegt, um eine Druckerlehre beginnen zu können. Die Lehrstelle hat er sich - über seine Verlags– und Zeitungskontakte - selbst beschafft. Dann wird Ralf der letzte im Redaktionskollektiv sein, der eigene Texte schreibt. Er berichtet, wie er über die Mitarbeit an der Zeitung ans Lesen - auch theoretischer Texte über den Strafvollzug - und schließlich ans Schreiben gekommen ist. Schreibend setzte er sich mit seiner eigenen Geschichte, d.h. auch mit der Vorgeschichte der Tat und mit der Knastgegenwart auseinander. Ein Zusammenhang zwischen Biografie und jetzigem Aufenthaltsort ist für Ralf offenkundig: „Wir haben in der Redaktion etwa so viele Heimjahre wie Knastjahre“. Damit will er nichts entschuldigen, besteht aber darauf, daß eine Diskussion über Kriminalität nur dann ehrlich ist, wenn sie die Biographie der kriminell gewordenen einbezieht. Ralf, Detlef und ein paar andere haben dies - für sich selbst und mühsam genug - in ihren Büchern getan. Ihnen ist mittlerweile - „Über den Kopf“ - klar geworden, daß Gewalttätigkeit keines ihrer Probleme löst. Seltene Beispiele geglückter Resozialisierung also? Nun, objektiv wäre das behauptete Strafziel bei ihnen längst erreicht, in der Regel sitzt ein Lebenslänglicher in Nordrhein–Westfalen aber 18 Jahre ab, bevor er auf Begnadigung hoffen darf. Schwerte ist ein verhältnismäßig liberaler Knast, was übrigens alle Gesprächspartner bestätigen. Die Perspektive, noch fünf oder acht Jahre dort zubringen zu müssen, wird dadurch jedoch kaum erträglicher. Auf eigene Initiative (und eigene Kosten) bereitet sich Ralf gerade auf das Fachabitur vor; Haupt– und Realschulabschluß hat er im Knast schon gemacht. Die Justiz sieht das nicht besonders gerne; für einen Lebenslänglichen, der erst neun Jahre hinter sich hat, kommt ihr das ein bißchen zu früh. Allen Behauptungen zum Trotz ist der Hauptzweck der Strafe offensichtlich immer noch das Verwahren und die Buße. Selbst wer irgendwann glücklich frei kommt, steht vor dem Nichts: von seinen 6 Mark 86 am Tag ist nicht viel übrig geblieben, Beiträge zur Renten– oder Krankenversicherung wurden für ihn nicht abgeführt. Das System des bundesdeutschen Strafvollzugs ist sündhaft teuer (zwei Milliarden Mark im Jahr; 0,27 Gefangenen) und produziert fast planmäßig neue Delinquenz (die Rückfallquoten sind erschreckend hoch). Gibts da überhaupt noch Hoffnung für die drinnen? Ralf besteht darauf: „Aber die muß erarbeitet werden durch Projekte, durch Bücher, mit denen wir konstruktive Unruhe stiften“. Hoffnung gründet sich auf die „Möglichkeiten der Veränderungen untereinander; das ist für mich der Überlebenskern“. Nachbemerkung Der Besuch in Schwerte liegt schon einige Zeit zurück. Mittlerweile sind auch dort Umstände eingetreten, die es für die Betroffenen noch schwerer machen, Hoffnung durch eigene Anstrengungen zu pflegen. Nach zwei spektakulären - letztlich aber gescheiterten - Geiselnahmen in den Gefängnissen von Duisburg und Bielefeld, die nach Auffassung des nordrhein– westfälischen Justizministeriums durch die „Unübersichtlichkeit der Zelle“ erleichtert wurden, läuft seit Wochen eine große Aufräumaktion in den Knästen. Private Einrichtungsgegenstände (selbstgezimmerte Regale, aber auch Bilder und anderer Wandschmuck) werden unter Hinweis auf Anordnungen von oben entfernt, zur habe genommen oder „vermüllt“. Nachdem sich in Schwerte einige Beamte zunächst geweigert hatten, ein in vielen Jahren gepflegtes, gutes Klima mutwillig zu stören, wurden sie unter Androhung dienstrechtlicher Konsequenzen zur peinlich genauen Ausführung der Anweisungen gezwungen. Die Anstaltsleitung steht dem Treiben von Justizvollzugsamt und Justizministerium eher hilflos gegenüber. Aggressionen treten wieder offener zutage, die „Beruhigungszelle“ ist ständig belegt.