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„Wir sind immer noch Bürger zweiter Klasse“

■ Die Katholikin Agnes (44) war fünf Tage in ihrem Viertel in Portadown eingekesselt

taz: Wie haben Sie die vergangene Woche überstanden?

Agnes: Es war viel schlimmer als im vorigen Jahr. Die Protestanten hinter den Barrikaden waren ja unsere Nachbarn. 51 Wochen im Jahr kommen wir mit ihnen klar, und dann so etwas. Wir haben nicht mal Brot oder Milch bekommen. Als ich zum Laden ging, wo ich immer einkaufe, sagte man mir, die Lebensmittel seien nur für die Leute an den Barrikaden, nicht für uns.

Wie sind die Leute an der Garvaghy Road mit der Polizei klargekommen?

Wir wußten, daß sie die Parade durchlassen wollten. Sie wollten nicht gegen ihre eigenen Leute vorgehen. Es sind ja zum Teil Verwandte der Polizisten gewesen, die an den Barrikaden standen. Wir hatten aber keine Probleme mit der Polizei, solange sie die Barrikaden aufrecht hielt. Aber als unsere Vertreter noch verhandelten und auf einen Sprecher des Orangeisten-Ordens warteten, kam plötzlich der Befehl, die Straße freizumachen. Wir haben schnell einen Sitzstreik organisiert und sind von der Polizei vermöbelt worden. Die haben den ganzen Frust der vergangenen fünf Tage an uns ausgelassen, es war einfach unbeschreiblich.

Aber es flogen doch auch Steine und Mollies von seiten der Katholiken gegen die Polizei, auch Autos wurden angezündet.

Das war erst später, nachdem sie hier eine ganze Reihe Leute verletzt haben. Und dann haben sie Hunderte von Plastikgeschossen aus Nahdistanz abgefeuert. Ein Junge hat sich den Arm gebrochen. Es wird immer behauptet, unser Viertel sei eine IRA-Hochburg, aber das stimmt nicht. Ich bin gegen Gewalt, und viele meiner Nachbarn auch, aber was soll ich denn jetzt meinen Söhnen erzählen? Friedlicher Protest hat doch keine Chance, das hat man doch gesehen. Die Loyalisten haben mal wieder mit dem Säbel geklappert, und sie haben ihren Willen bekommen. Dieser Tag in Portadown hat der IRA genug Nachwuchs für zwei Generationen verschafft, da bin ich sicher.

Wie geht es weiter? Wird der loyalistische Waffenstillstand halten, oder wird die IRA ihre Kampagne in Nordirland wieder beginnen?

Welcher Waffenstillstand? Ich kann das Wort nicht mehr hören. Die Loyalisten haben überall die Straßen blockiert, ihre Polizei feuert Plastikgeschosse, und am Montag ist ein Taxifahrer ermordet worden, nur weil er katholisch war. Waffenstillstand?

Wie ist die Stimmung in der Garvaghy Road? Eher wütend, oder eher resigniert?

Beides. Die Wut ist unbeschreiblich groß, und in den kommenden Nächten wird es hier noch rundgehen. Aber man hat uns erneut verdeutlicht, daß wir Bürger zweiter Klasse sind. Da hat sich seit 1969 nichts geändert, auch wenn wir Katholiken inzwischen das Kommunalwahlrecht haben. Doch was nützt es uns? Es gibt ein Gesetz für uns, und eins für Protestanten. Was glaubst du denn, was passiert wäre, wenn wir da oben hinter den Barrikaden gestanden hätten, wenn wir die Provinz fünf Tage lang lahmgelegt hätten? Da hätte die Polizei keinen Tag gewartet, bevor sie uns die Schädel eingeschlagen hätte. Ihren eigenen Leuten knüppelt sie dagegen die Straße frei. Es ist eine Schande. Daran hat der sogenannte Friedensprozeß nichts geändert. Das Schlimme ist: So ein Jahr ist schnell vorbei, und dann stehen die Protestanten wieder da oben.

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