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„Wir sind doch nicht in Kreuzberg“

■ Protokoll einer Hausbesetzung am vergangenem Wochenende / Albert-Einstein-Straße 15 in Potsdam: Vorne hui, hinten pfui - „alles nur, weil Honni hier mal vorbei fuhr“

Treffpunkt: 9.30 Uhr in der kleinen Wohnküche des halbverfallenen Hauses im historischen Holländerviertel. Händeschütteln, wie DDR-üblich. Fünf junge Leute sitzen um den Frühstückstisch und diskutieren ihren „Schlachtplan“. Sie wollen Potsdam um ein weiteres besetztes Haus bereichern.

„Sind die Transparente da?“, „Wer will überhaupt alles mit einziehen?“, „Sind eigentlich Proletarier dabei?“ Gibt es schon ein Flugblatt? „Wovon denn? Hast du Papier?“ Angst vor der Verhaftung? „Tja, vielleicht arbeitet die Sicherheit noch...“ Falls die Polizei räumt, soll der Rat der Stadt besetzt werden: „Wenn die Bullen kommen, bleiben wir trotzdem drin. Sie müßten uns mit Gewalt raustragen... machen sie nicht. Herrscht doch Anarchie hier!“ Steine sollen jedenfalls nicht fliegen („Wir sind doch nicht in Kreuzberg!“), aber für alle Fälle liegt eine selbstgefertigte „Chaotenmaske“ bereit: „Das ist die Mütze für unseren Pressesprecher.“

15 Leute umfaßt die Gruppe, zum größten Teil Studenten der Filmhochschule Babelsberg. Schnell wird das letzte Transparent gemalt, dann zwänge ich mich bereits in einen ramponierten Trabi und los geht's, vorbei an der Nikolaikirche, über die Havel und dann ein kleines Stück den Hügel empor, der zum „Kreml“, der örtlichen Parteizentrale, führt. Das Zielobjekt, Albert-Einstein-Straße 15, macht trotz sechs Jahren Leerstandes einen hervorragenden Eindruck. Das Haus wurde offenbar vor kurzem sorgfältig verputzt; es gibt zwei solide, geräumige Balkons. Das soll ein halbverfallenes Gebäude sein? „Warte, bis du die Rückseite siehst“, meint Antje. Ungläubig registriere ich dort abbröckelnden Außenputz, zerschlagene Scheiben, Risse im Mauerwerk, eine zusammenbrechende, altersschwache Remise. Wie paßt das zusammen? „Ja, weißt du, die Straße hier führt direkt zum Kreml. Und vor drei Jahren besuchte Erich mal seine Genossen in Potsdam. Fünf Tage vorher erschien eine Putzkolonne, die arbeitete Tag und Nacht, um dem alten Gemäuer eine schicke Fassade zu verpassen. Sie haben sogar das Dach repariert, die Schornsteine hochgemauert und Gardinen aufgehängt...

Als die Haustür aufgebrochen ist, wird klar, daß die Bausubstanz stark angegriffen ist. Zersplitterte Wohnungstüren, geplünderte Sanitäranlagen, kaputte Kachelöfen, Wasserschäden sowie Hausschwamm und Fäule in einigen Fußböden werden die Sanierungskosten in die Höhe treiben. „Marx“ steht auf einem verwitterten Namensschild... In aller Ruhe werden die Transparente ausgepackt. Kein Gedanke an eine Verbarrikadierung. „Ach was, laßt uns erstmal Schrippen kaufen, es fehlen ja noch ein paar Leute.“ Nach einer Stunde Palaver und Begrüßung der Nachzügler geht es an die Arbeit. Ruhig und gewissenhaft werden die Bettlaken an der Fassade befestigt. „Sechs Jahre Leerstand Selbsthilfe statt KWV-Ohnmacht“ (KWVKommunale Wohnungsverwaltung, d. Red.) steht drauf, „Wir klagen an“ und „Wir fordern Mietrecht“. Nun werden Passanten und Anwohner aufmerksam. Eine Omi aus dem Nebenhaus ruft: „Jetzt haben sie die Tauben verjagt, endlich“, der Milchmann kommentiert: „Soll det Haus nun in Betrieb jesetzt wer'n? Find‘ ick jut.“ Niemand sorgt sich, daß die Polizei bald auftauchen könnte. „Ach Quatsch, hier holt keiner die Bullen!“ Im Gegenteil, ein Besucherstrom biederer Bürger setzt ein, die sich interessiert umsehen und die Besetzer beglückwünschen: „Jut, dat endlich wat passiert.“ - „Jut, Jungs, machta or'ntlich“ - „Is det'n herrlichet Haus, einwandfrei, da würd ick meene Neubauwohnung sofort uffje'm“.

„Nächste Woche organisieren wir Strom und Wasser“, erklärt mir Tom, „dann machen wir einen Infostand am 'Broadway‘, der Klement-Gottwald-Straße. Die Einsteinstraße muß ein Begriff werden, damit wir Kohle lockermachen.“ Eine Architektin habe sich das Haus schon angeschaut und alleine die Schwammsanierungskosten auf 500.000 Ostmark geschätzt. Viel Geld - „aber raus gehen wir nicht mehr“.

Während wir die letzten Flaschen 'Berliner Pilsner‘ leeren, erkundige ich mich nach ihren zukünftigen Plänen. Gemeinsames Wohnen und Arbeiten lautet das Ziel. „Hier kannste wirklich was machen, zum Beispiel in der Remise ein Kino eröffnen, unser alter Traum.“ Werkstätten sollen entstehen und Alex will ein Bildhaueratelier einrichten. Auch über die Gründung von Genossenschaften diskutieren wir.

Frank Nordhausen

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