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Archiv-Artikel

„Wir müssen Position wagen“

Abweichend von der Fraktionsspitze wirbt die SPD-Abgeordnete Sabine Boeddinghaus für eine „Schule für alle“. Im taz-Interview erklärt sie, wie dies mit Hilfe des Elternwillen funktionieren könnte

Interview: KAIJA KUTTER

taz: Frau Boeddingshaus, Ihr Fraktionschef Michael Neumann ist für das Zwei-Säulen-Modell der CDU, das in Gymnasien auf der einen und Gesamtschulen sowie Haupt- und Realschulen auf der anderen Seite trennt. Sie dagegen fordern eine Schule für alle. Am Wochenende haben Sie ihre Mitstreiter zu einer Tagung eingeladen. Wie war‘s?

Sabine Boeddinghaus: Schön war‘s. Es sind 40 Leute gekommen, nicht nur aus der Partei. Wir bleiben dabei, dass wir eine Schule für alle wollen.

Kriegen Sie keinen Ärger?

Nein. Nachdem Neumann sich offensiv an die Presse wandte, hat Parteichef Matthias Petersen ja gesagt, es sei in Ordnung, die Positionen öffentlich darzustellen. Am 2. Dezember stimmen wir auf unserem Bildungsparteitag darüber ab. Wir wollen jetzt zeigen, wie unsere Idee konstruktiv umgesetzt werden kann.

Und wie?

Indem man keine Negativbotschaft sendet. Es wird schnell gesagt, wir wollten den Elternwillen abschaffen und die Gymnasien plattmachen. Das stimmt aber nicht. Wir wollen keine einzelne Schulform fördern. Wir wollen, dass alle weiterführenden Schulen ihre Kinder fördern. Jede Schule sollte ihre Kinder behalten, statt sie abzuschulen oder sitzenbleiben zu lassen. Und wir wollen den Elternwillen wirklich frei machen und ihnen überlassen, wohin sie ihre Kinder schicken.

Dann könnten Eltern sagen: Aufs Gymnasium, basta.

Ja. Wir wollen auch die Noten zu Gunsten von Lernentwicklungsberichten ersetzen, aus denen deutlich wird, wo die Stärken und Schwächen liegen.

Dann können Eltern ihr Kind mit einer Vier in Mathe aufs Gymnasium schicken?

Eine Vier gibt es dann nicht mehr. Es wird immer gesagt, wir wollten den Elternwillen abschaffen. Wir wollen ihn aber stärken. Wir wollen, dass alle in den ersten neun Jahren nach dem gleichen Lehrplan arbeiten, und auch Gymnasiallehrer an die Haupt- und Realschulen schicken. Die Schüler lernen bis Ende der Klasse neun gemeinsam. Erst in Klasse zehn setzt dann die äußere Differenzierung ein: Die Kinder können einen mittleren Bildungsabschluss oder das Abitur erreichen.

Wie realistisch ist es, dies in der SPD durchzusetzen?

Ich kann nicht sagen, wie die Partei im Dezember abstimmt. An der Basis stoßen wir auf offene Ohren. Alle sagen, dass etwas getan werden muss. Auch viele Gymnasialeltern sind ja nicht zufrieden, weil sie merken, dass ihre Kinder nicht so gefördert werden, wie es sein müsste.

Wir wollen aber nicht einen Hebel umlegen, sondern vor Ort alle Schulen so begleiten, dass sie zu fördernden Schulen werden. Dass wir das Sitzenbleiben und die Grundschulempfehlung abschaffen wollen, ist bereits SPD-Position.

Sind denn zwei Säulen nicht besser als gar keine Änderung?

Nein. Es wäre schlimmer als das, was wir vorher hatten. Eine Abbildung der Zwei-Klassen-Gesellschaft. Vielleicht haben wir jetzt real zwei Säulen, aber es wäre schlecht, diese Struktur auf Jahrzehnte festzuschreiben. Ich sehe nicht ein, warum ein Gymnasialkind nicht mit einem Haupt- und Realschulkind zusammen lernen kann. Und ich als Gesamtschul-Mutter hätte große Sorge, meine Kinder in die zweite Säule zu schicken. Die Gesamtschulen würden leistungsstarke Kinder verlieren. Dadurch würde die Spaltung verschärft.

Wenn sie den Elternwillen freigeben, schickt keiner mehr sein Kind auf die Haupt- und Realschule.

Natürlich, so wird es kommen. Es kann passieren, dass sich ein Gymnasium zu einer Dependance einer Schule für alle entwickelt. Und es wird Haupt- und Realschulen geben, die zum Abitur führen, so dass Eltern ihre Kinder dorthin schicken können. Das Problem ist, dass ein Teil der Eltern diese Mischung nicht will. Für die fühle ich mich nicht verantwortlich. Die werden auf Privatschulen ausweichen. Das ist dann eben so.

Haben Sie Angst, mit dem Thema die Wahlen zu verlieren?

Ja. Das ist nicht ausdiskutiert. Ich sage: Wenn wir die CDU-Position übernehmen, versteht das niemand am Info-Stand. Wir haben keine Botschaft. Die GAL hat ihr Konzept, die CDU hat ihres und wir im Grunde nichts. Wir müssen wagen, Profil zu zeigen.