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■ Wir lassen lesenRote Karte für die Wissenschaft

Schlußphase der Fußball- Bundesliga, da fragt sich jeder: Hilft uns die Wissenschaft beim Meisterschaftsfinale weiter?

Wir haben Glück: Die erste sozialwissenschaftliche Arbeit zur höchsten deutschen Spielklasse liegt jetzt vor: „Profifußball. Zur Soziologie der Bundesliga“. Der Autor heißt Heinrich Väth. War früher Geschäftsführer der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VdV) und hat seine Doktorarbeit aus dem Jahr 1986 nun aktualisiert und veröffentlicht.

31 Jahre alt ist die Liga. Also, es wurde höchste Zeit für eine soziologische Studie.

Väths Analyse beginnt mit den Spielregeln. Hernach schaut er sich die einfach strukturierte und leicht nachvollziehbare „Logik“ und den „Geist“ des Fußballs an, der sich für ihn in „Bewegungsfreude“, „Sozialität“, „Wettkampfgeist“, „Leistungsverpflichtung“, „Teamgeist“ und „Fair play“ ausdrückt. Auch die „Dimensionen“ des Spiels beschäftigen ihn, dessen Unwägbarkeit, verschiedene Spielweisen, das komplizierte Verhältnis von Einzelspielern und Mannschaft sowie die Spielertypen.

Dieser sehr klassische Einstieg ist ein bißchen Vorzug und großes Manko zugleich. Es entsteht der unangenehme Eindruck einer Sammlung von Banalitäten. Wer mit dem sozialwissenschaftlichen und dem fußballerischen Jargon gleichermaßen vertraut ist, liest weite Passagen mit einem verärgerten „So what?“ auf den Lippen. „Der Stürmer ist der einzige Spieler, dessen Leistung quantitativ – nach der Anzahl der von ihm erzielten Tore – bewertet wird.“ (S. 48)

Diese Verbrämung des fußballerischen ABCs zu wissenschaftlicher Jargonakrobatik wird auch in den folgenden Kapiteln beibehalten. Ein kurzer historischer Abriß, eine Grobcharakterisierung von Profi- und Amateurfußball, der DFB, die Vereine und ihr Management, Nationalteam und Spielbetrieb. Unangenehm wird es, wenn Väth über den jetzigen VdV-Präsidenten Stefan Lottermann mit Zitatfetzen aus der Sport-Bild und Hinweisen auf unvollständige Tagesordnungen herzieht – der Doktorhut als Pelle für die beleidigte Leberwurst herhalten muß.

Sicher, das Buch enthält auch nützliche Informationen. Es ist aber keine „Soziologie der Bundesliga“. Es ist wohl richtig, daß dieses Thema noch nicht angegangen wurde. Indes, an fußballsoziologischen Werken herrscht nicht so ein Mangel, wie es Väths Literaturliste nahelegt.

Was lernen wir also von der Wissenschaft fürs heutige Meisterschaftsfinale? Tiefschürfender als „der Ball ist rund“ ist der Erkenntnisgewinn nicht, und das spricht, ohne jede Ironie, für die Genialität von Herberger. Martin Krauß

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