Wir lassen lesen: Erotuomari ante portas
■ Kompendium des Vereinsfußballs
Mit seinen 31 Jahren hat Hardy Grüne bereits ein bewegtes Leben hinter sich. „Bis auf den ozeanischen“, hat er „alle Kontinente der Welt“ besuchen können, aber damit nicht genug: „In England, Frankreich und den USA ließ ich mich für längere Zeit nieder und nahm am dortigen Leben teil.“ Und was macht jemand, der über eine solch gehörige Portion Lebenserfahrung verfügt? Genau! Ein Buch.
Ebendies hat Hardy Grüne getan. Er gab ein Buch heraus, und zwar ein ebenso nützliches wie skurriles: die „Enzyklopädie der europäischen Fußballvereine“, in der „die Erstliga-Mannschaften Europas seit 1885“ allesamt aufgeführt und mit ihren wichtigsten Daten charakterisiert sind. Eigentlich war das Buch als rein statistisches Werk konzipiert, doch das war dem Herausgeber zu wenig. Eifrig forschte und recherchierte er auch in den absonderlichsten weißen Flecken des Fußballs, bis er zu jedem Land nicht nur einen kurzen Abriß der Landes- und Fußballgeschichte, sondern auch Informationen über die vorhandenen Ligen, Pokale und sogar die Sprache des betreffenden Gebietes liefern konnte.
So erfährt man etwa im Falle Irlands nicht nur, daß in Dublin das erste Soccer-Match 1883 stattfand, sondern auch, daß „Tor“ auf gälisch „Ceann- criche“ heißt. Die korrekte keltische Übersetzung des Begriffs „Schiedsrichter“ war nicht zu ermitteln, trösten kann man sich beispielsweise mit der erstaunlich simplen, aber dafür ein wenig anzüglichen finnischen Bezeichnung für den Unparteiischen: „Erotuomari“. Oder vielleicht der rätoromanischen: „Arbitrader“.
Eine Menge interessante Informationen gibt es natürlich über den Fußball der großen europäischen Kickernationen, wesentlich spannender sind jedoch die balltreterischen Randgebiete. Jene Klubs und Länder, die im Zuge der europäischen Nationeninflation plötzlich im Europacup auftauchen, zumindest in der Qualifikation, oder jene, die sonst überhaupt nirgends auftauchen. Wer ahnte schon, daß der größte Erfolg der Soccer-Enthusiasten auf der Kanalinsel Alderney aus dem Jahre 1920 datiert. Damals wurde im Muratti-Cup das Nachbar-Eiland Guernsey mit 1:0 bezwungen. Das war gar nicht einfach, schließlich verfügt Guernsey seit 1893 über eine eigene Liga, die alljährlich den „Priaulx-Cup“ ausspielt, welchen schon so illustre Teams wie „2nd Battalion Royal Fusiliers Band Company“ oder, in letzter Zeit meistens, „Vale Recreation FC St. Sampson's“ gewonnen haben.
Wer wüßte außerdem, daß der grönländische Meister 1992 „Aqigssiak Maniitsoq“ hieß, der von Gibraltar anno 1900 aber FC Prince of Wales. Und dann wäre da noch die „Classis ludentium“ (Liga) des Vatikan, wo die „Porta“ entgegen aller Gerüchte aber in keinem Team vom Heiligen Vater persönlich gehütet wird. Sechs Mannschaften, unter anderem „Bambino Gesu“, „Hermes“ (!??) und Telepost, ringen im Nationalstadion „Campo Pio XII“ um den Titel, die Champions der letzten Jahre konnten allerdings nicht ermittelt werden. Doch auch hier weiß der Enzyklopäde in der Sektion „Adressen“ Rat. Anfragen an: Attivitá Calcistica Stato della Cittá del Vaticano, Fax-Nr. 39/6698/3815.
Fazit: Solange derart unterhaltsame Bücher dabei herauskommen, soll Hardy Grüne ruhig noch ein wenig in der Welt umherdüsen. Matti Lieske
Hardy Grüne: „Enzyklopädie der europäischen Fußballvereine“. AGON Sportverlag, Frankfurter Str. 91a, 34121 Kassel; 612 Seiten, 89 DM; ISBN 3-928562-49-5
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