Wir lassen lesen: Salz im Kaffee
■ Pyrenäenbären und eine Meuchelei am Galibier: Literatur zur Tour de France
Bei der Tour de France 1997 wurde eine Nation von Radsportexperten geboren. Dank der strammen Beine des Jan Ullrich wußte hierzulande plötzlich alle Welt, daß Übersetzungen nicht immer mit Fremdsprachen zu tun haben, daß ein Wasserträger kein chinesischer Kleingewerbler und der Tourmalet keine Käsesorte ist. Ein Jahr ist vergangen, und möglicherweise sind die neuen Erkenntnisse ein wenig verblaßt. Doch keine Panik, der Ullrich- Boom hat sich auch auf dem Buchmarkt niedergeschlagen, so daß es kein Problem ist, das Fachwissen rechtzeitig zum Einstieg der diesjährigen Tour in die Pyrenäen aufzufrischen.
Da wäre zum Beispiel „Das Tour-de-France-Buch“ von Harald Krämer, ein handlicher Leitfaden zum größten Radrennen des Globus. Eine unterhaltsame Geschichte der Tour, ihrer Leidensmänner und Heroen, inklusive Pyrenäenbären, ist verknüpft mit wertvollen Informationen zur Taktik, Organisation und anderen wichtigen Fragen, zum Beispiel zu den Eßgewohnheiten der Pedaleure. Wieviel frißt Erik Zabel? Antwort: Täglich so viel wie eine fünfköpfige Familie. Was auch erklärt, warum Radsportler so schrecklich dick werden, sobald sie nicht genug strampeln. Siehe Jan Ullrichs Winterspeck oder „Fat Eddy“ Merckx.
Breiter Raum ist natürlich dem Team Telekom, Jan Ullrich und der Tour 1998 gewidmet, aber nicht soviel wie in „Tour de France '98“ von Markus Maxen, das ganz auf die laufende Frankreich-Rundfahrt zugeschnitten ist. Fahrerporträts, Etappenprofile, die Erklärung der verschiedenen Funktionen in einem Team und für ganz Fleißige die Möglichkeit, jeden Tag den aktuellen Stand selbst einzutragen. Der handschriftliche Update sozusagen, etwas antiquiert, aber putzig.
Immer wieder zu empfehlen ist der Klassiker „Tour de France“ vom vor einigen Monaten verstorbenen Hans Blickensdörfer, im letzten Jahr mit vielen schönen Fotos neu aufgelegt. Der journalistische Tour- Veteran, der auch die angenehme kenntnisreiche Radsport-Kolportage „Salz im Kaffee“ ersann, fabuliert hingebungsvoll drauflos und vermag die Tragödien aus Alpen, Zentralmassiv und dem Val de Louron, die laut Blickensdörfer alljährlich den Morgenkaffee der Franzosen vor lauter Tränen salzig schmecken lassen, anrührender zu erzählen als jeder andere.
Zu guter Letzt hat der Radsport-Enthusiasmus auch die Krimi-Schreiber auf den Plan gerufen, einen davon schon in den 20er Jahren. André Reuze erzählt in „Giganten der Landstraße“ die packende Geschichte eines jungen Radfahrers, der sich anschickt, die Tour de France zu gewinnen. Garniert mit wahren Begebenheiten aus den frühen Jahren der „Großen Schleife“ entwirft Reuze ein spannendes Szenario, in dem allerlei üble Machenschaften und auch der Griff zur schnellen Pulle eine Rolle spielen. Erheblich dilettantischer geht Norbert Klugmann zu Werke, der in seinem Büchlein „Tour der Leiden“ die hanebüchene Story einer Gruppe von Amateurradlern erzählt, die sich als Amateurdetektive versuchen und folgerichtig von schurkischen Speichensaboteuren wie die zehn kleinen Negerlein einer nach dem anderen ins Jenseits befördert werden. Eine krude Aneinanderreihung von Ungereimtheiten und Unwahrscheinlichkeiten, geprägt von grob gezeichneten Klischee- Charakteren und einer zwischen Naivität und Halbwissen schwankenden Darstellung des Tour-Zirkus. Gegen Ende wird Udo Bölts von der rächenden Witwe eines Selbstmörders niedergeschossen, und auch Jan Ullrich kommt nicht ungeschoren davon. Ihren Höhepunkt findet die muntere Meuchelei am Galibier. Keine Käsesorte übrigens. Matti Lieske
Markus Maxen: „Tour de France '98“, Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 1998, 16,90 DM
Hans Blickensdörfer: „Tour de France“, Sigloch Edition, Künzelsau 1997, 39,80 DM
Hans Blickensdörfer: „Salz im Kaffee“, Engelhorn Verlag 1987, 32 DM
André Reuze: „Giganten der Landstraße“, Sportverlag, Berlin 1998, 48 DM
Norbert Klugmann: „Tour der Leiden“, rororo, Reinbek 1998, 9,90 DM
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