piwik no script img

„Wir hängen doch alle an diesem Laden“

■ Mitarbeiter der Vulkan-Tochter Neptun TechnoProdukt besetzen den Betrieb

Mit Sonnenliegen, Proviant, Waschzeug und einer gehörigen Portion „Wut im Bauch“ haben etwa 100 Beschäftigte der Vulkan-Tochter Neptun TechnoProdukt am Sonntag abend ihren Betrieb in Bremerhaven besetzt. „Wir harren solange aus, bis die Geschäftsführung ihr Konzept zurücknimmt“, kündigt Betriebsratsmitglied Thomas Bindrim (30) an. Neben seinem Schreibtisch im Büro des Betriebsrates steht eine geblümte Sonnenliege – das Nachtlager. Auf dem Tisch liegt in blauer Klarsichtfolie jenes Konzept, das die Belegschaft auf die Barrikaden bringt. 60 Mitarbeiter der 102 Beschäftigen sollen entlassen werden. Dafür müßten die restlichen 42 bis zu 60 Stunden pro Woche arbeiten – bei bis zu 900 Mark weniger Lohn monatlich. „Außerdem sollen mindestens zwei unbezahlte Überstunden pro Woche geleistet werden“, erklärt Bindrim. Vor 15 Jahren hat er bei NTP als Schlosser-Lehrling angefangen. Seit fünf Jahren sitzt er im Betriebsrat. „Wir hatten seit 1984 neun verschiedene Geschäftsführer“, klagt er. „Wir haben immer wieder versucht, Vorschläge einzubringen, um die Arbeit effektiver zu gestalten.“, berichtet Bindrim und deutet mit der Hand auf ein Plakat aus braunem Packpapier, das an der Wand hängt. Unter einzelnen Punkten wie EDV oder Ablauforganisation haben die Mitarbeiter ihre Verbesserungsvorschläge aufgelistet. „Wir sind mit unseren Anregungen gegen die Wand gelaufen“, sagt Bindrim. Seit 1986 gehört die Firma zum Vulkan-Verbund. Die Maschinenbaufirma NTP baut unter anderem Müllverbrennungsanlagen, Pressen, Teile für Windkraftanlagen und Hafengeschirr. Seit 1994 ist das Rostocker Vulkan Unternehmen Neptun Industrie Rostock (NIR) Gesellschafterin. Sie hat die Geschäftsführung jetzt aufgefordert, ein Konzept zu erarbeiten, damit das Unternehmen wieder schwarze Zahlen schreibt. „NTP hat in den letzten zehn Jahren im Schnitt vier Millionen Mark minus gemacht“, verrät Geschäftsführer Horst Hannemann, während er beim Amtsgericht Bremerhaven versucht, eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Die Belegschaft hat ihn und den zweiten Geschäftsführer Sönke Gorkiesch ausgesperrt. Mit der Vulkan-Krise habe die prekäre Lage der Firma allerdings nichts zu tun, betont er. „Das fällt nur zufällig zusammen. Selbst wenn der Vulkan sich nicht in dieser Krise befinden würden, müßten wir was tun.“

Stundenlang hat Hannemann an diesem Morgen mit dem Betriebsrat verhandelt. Doch die Fronten sind verhärtet. „Wenn es irgendeine andere Lösung gebe, würden wir das ja machen. Aber es gibt keine.“ Hannemann hält deshalb an dem Konzept fest. „Wir brauchen sehr flexible Arbeitszeiten“, verteidigt er die 60-Stunden-Regelung. „Das heißt aber, daß die Arbeiter im Schnitt nur 35 Stunden arbeiten. Wir wollen nicht an den Tarifvertrag ran“, erklärt er. Wenn es die Auftragslage erfordere, müßten die Arbeiter mitunter 60 Stunden in der Woche arbeiten – und bekämen dafür Freizeitausgleich. Auch die Lohnkürzungen hält er für gerecht. „Wir zahlen zur Zeit übertarifliche Zulagen von 38 Prozent. Tariflich vorgesehen sind 16 Prozent. Alles, was wir wollen, ist, diesen Überschuß zu streichen.“

„Das bedeutet einen Lohn von 3.100 bis 3.400 Mark brutto für einen Facharbeiter“, rechnet hingegen Thomas Bindrim aus. „Das langt nicht hinten und nicht vorne“, pflichtet ihm sein Kollege Ralf Glaser bei. Der 34jährige Bohrwerksdreher ist verheiratet und hat zwei Kinder. Er bewirbt sich schon um einen neuen Job. Doch der Familienvater ist eher pessimistisch. „Hier in Bremerhaven gibt es einfach nicht so viele Möglichkeiten“, sagt er und öffnet die Tür zur Werkshalle.Ohrenbetäubender Lärm. An der Sägemaschine steht Hilber Neumann. Daß er gehen muß, ist für den 44jährigen Vater von vier Kindern „so gut wie sicher“. „Im Konzept ist die Sägemaschine überflüssig“, weiß der Stahlbauschlosser. Rechnet er sich Chancen auf einen neuen Job aus? Neumann zuckt mit den Achseln. „Wohl kaum“. Ralf Glaser drängt zum Aufbruch. Für Betriebsführungen hat er jetzt keine Zeit mehr – gleich beginnt die Schicht. Ein Teil für eine Windkraftanlage muß fertig gemacht werden. Der Termin drängt. Trotz der angespannten Lage, scheinen die Arbeiter engagiert zu arbeiten. „Na klar“, nickt Glaser. „Wir hängen doch alle an diesem Laden.“ kes

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen