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Archiv-Artikel

„Wir dürfen kein Überwachungsstaat werden“

Der FDP-Politiker Gerhart Baum hält eine Grundsatzdebatte über ein liberales Gesellschaftsbild für dringend notwendig. Dabei müsse es ebenso um Umwelt- wie um Sozialpolitik und den Schutz der Menschenrechte gehen

taz: Herr Baum, beim traditionellen Dreikönigstreffen wird sich die FDP heute groß feiern: hervorragendes Bundestagswahlergebnis, Mitgliederzuwachs – da können nicht einmal Sie viel kritisieren, oder?

Gerhart Baum: Zunächst einmal hat die FDP tatsächlich eine gute Ausgangsposition, eine bessere als die Grünen, die doch in der Opposition einigermaßen orientierungslos sind. Aber sich alleine darauf zu berufen, dass man jetzt die stärkste Oppositionspartei ist und sich gegenüber der großen Koalition abzugrenzen, das wird nicht reichen. Man muss auch attraktive liberale Alternativen entwickeln.

Die aktuelle FDP-Variante des Liberalismus ist doch recht attraktiv: Als Partei des Marktradikalismus und der sozialen Kälte hat sie so gut abgeschnitten wie lange nicht mehr.

Zum einen habe ich große Zweifel, ob das eine so sichere Plattform ist. Die FDP sollte sich vor Augen führen, dass die große Koalition versucht, weniger ideologiebezogene, pragmatische Schritte zu machen. Da muss meine Partei aufpassen, dass sie nicht abgehängt wird. Zum anderen möchte ich nicht nur auf Wahlergebnisse blicken, sondern eine liberale Partei sehen, die wirklich ihrem Namen Ehre macht. Es ist wichtig, in einer solchen Zeit der Umbrüche und der Unsicherheiten liberale Grundwerte sichtbar zu machen.

Das dürfte Ihre Parteiführung auch so sehen. Für sie sind weniger Steuern und mehr Markt liberale Grundwerte.

Mag sein, aber das wäre nicht genug. Aus meiner Sicht ist eine Grundsatzdebatte über ein liberales Gesellschaftsbild dringend notwendig. Dazu gehört, dass wir wieder attraktiv für intellektuelle Diskurse in der Gesellschaft werden müssen. Die FDP muss das aufgeklärte Bürgertum wieder stärker erreichen, das sie zum Teil an die Grünen verloren hat. Bei aller marktwirtschaftlichen Grundorientierung vermittelt die FDP zurzeit kein Gesellschaftsbild, das umfassend ist und alle Aspekte des menschlichen Zusammenlebens umfasst.

Wie könnte das aussehen?

Wir brauchen eine Wiederbelebung von Elementen des Freiburger Programms von Anfang der 70er-Jahre. Wir nannten das damals einen sozialen Liberalismus. Nach dem Grundsatz von Werner Maihofer: Auf der einen Seite darf der Staat nicht alles dürfen, aber auf der anderen Seite sind wir alle der Staat. Das war die Balance, die wir damals gefunden haben. Ich hoffe, dass die Partei das begreift. Ich habe übrigens dieser Tage mit Maihofer gesprochen, der das genauso sieht wie ich.

Was folgt praktisch daraus?

Die FDP sollte jetzt ihre Chance nutzen, entschiedener liberale Politik auf allen Feldern zu vertreten, auch in denjenigen, die sie bisher vernachlässigt hat. Das gilt nicht nur für den sozialen Bereich. Auch sollte sie zum Beispiel den Umweltschutz wieder in eine Beziehung zur Marktwirtschaft setzen. Und sie muss noch konsequenter für Menschen- und Bürgerrechte eintreten.

Gibt es denn überhaupt noch in der FDP Strömungen, die eine solche Kurskorrektur befördern könnten?

Die Bürgerrechtsströmung ist immer stärker geworden in den letzten Jahren. Die FDP ist ja die einzige Partei, die die Schily-Kataloge nicht akzeptiert hat und auch in anderen wichtigen Fragen nicht mit der Mehrheit gestimmt hat, etwa beim Luftsicherheitsgesetz. Die FDP kann und muss in diesem Bereich kritische Öffentlichkeit mobilisieren, zum Beispiel gegen das immer weitere Überhandnehmen von Überwachungselementen. Wir befinden uns auf dem Weg in einen Überwachungsstaat. Dagegen müssen wir uns wehren. Ich meine übrigens auch, dass es einen Untersuchungsausschuss zur CIA-Affäre geben sollte. Es müssen die Hintergründe dieser Schonung der US-amerikanischen Regierung durch Rot-Grün restlos aufgeklärt werden, um künftig verdeckte Kooperationen oder Duldungen dieser Art zu vermeiden.

Und wie sieht es mit der sozialen Frage aus?

Mit der sozialen Komponente tut sich die FDP wesentlich schwerer. Doch die Wiederbelebung von Elementen eines sozialen Liberalismus ist unverzichtbar. Ob es dazu kommen wird? Da wage ich noch keine Vorhersage.

Hat denn nicht Parteichef Guido Westerwelle erst kürzlich vorgeschlagen, das FDP-Programm um die Komponente „neosozial“ zu erweitern?

Dieses „neosoziale“ Konzept ist ja schon wieder fallen gelassen worden. Und ich begrüße, dass das in dieser Form nicht weiter verfolgt wird. Es war einfach ein untauglicher Versuch, die real existierenden Defizite der Partei zu vertuschen.

Sieht es denn in punkto Ökologie besser aus? Bisher tritt die FDP doch nur als Partei in Erscheinung, die Umwelt als Wirtschaftshemmnis betrachtet.

Hans-Dietrich Genscher hat als Bundesinnenminister damals Anfang der 70er-Jahre den Umweltschutz aufgebaut. Maihofer und ich haben das als seine Nachfolger fortgesetzt. An diese liberale Tradition sollte die FDP nun wieder anknüpfen.

Sehen Sie denn Ansatzpunkte dafür?

Ja, ich sehe schon einige Ansatzpunkte, wenn auch nicht genug. Aber immerhin gibt es Stimmen in der Fraktion, die diese Komponente für wichtig halten.

INTERVIEW: PASCAL BEUCKER