Wintersport und Premier League: Den Kirchhoff im Dorf lassen
Mein Vater konnte das. Er konnte sich an einem Sonntagmorgen vor den Fernseher fläzen und sich die Liveübertragung irgendeines Eisschnelllaufwettbewerbs reinziehen. Zwischen den Jahren sprangen Menschen in Skianzügen auf Brettern von großen Schanzen – aber wie so was ausgehen kann, hat man bei der Skiflug-WM gesehen. Skifliegen ist eine Risikosportart, die im Rollstuhl enden kann. Das Absurdeste aber, was ich in Sachen Wintersport erlebt habe, war ein Restaurant in Wien, in dem die Radio-(!)-Live-Übertragung eines Skiabfahrtslaufs lief.
Kurzum: Wintersport verstehe ich nicht. Vielleicht muss man sich von Haus aus langweilen und Sportübertragungen schon an sich als Entspannung betrachten: Mein Vater mochte ja auch Formel 1 und sogar Motorradsport. Vielleicht muss man aus dem Alpenvorland kommen oder aus den Mittelgebirgen und von daher den nötigen Bezug mitbringen. Ich hingegen bin vom höchsten Berg der Gegend (offizielle 82 Meter hoch!) einmal mit dem Schlitten so vor einen Baum gefahren, dass zwei Wochen Krankenhaus dabei herauskamen.
Aber was soll man auch machen. Die Australian Open im Tennis finden zu unmöglichen Uhrzeiten statt, die Bundesliga hat Pause, und selbst der Dartsport, also das Ding mit dem Pfeilen, das von mächtigen Männern aus der Arbeiterklasse beherrscht wird und seinen Platz im TV-Programm strategisch gut gefunden hat, nämlich in besagter Zeit zwischen den Jahren, also selbst der Dartsport ist wieder in der Bedeutungslosigkeit abgetaucht, mindestens bis Ende Dezember, wenn die nächste WM beginnt. Also doch, ja, Schnee im Fernsehen? Kuhglocken, Leute mit bergländischen Dialekten, die man ohne Untertitel diesseits der Donau nur schlecht versteht? Und dann diese sonnigen Gemüter, dieser gut genäherte bayerische Wohlsinn, da ist die Welt noch in Ordnung, und die ehrgeizigen Töchter und Söhne des Ski bedanken sich ei brav bei ihren Eltern, wenn sie es wieder einmal ein paar hundertstel Sekunden vor der Konkurrenz bergab geschafft haben.
Zum Glück gibt es noch die Premier League, die englische Fußballliga. Die kennt dieses Unwort nämlich nicht: Winterpause. Und dank der deutschen Gastarbeiter ist die Liga auch wieder interessant – obwohl gerade die sich genau darüber beschweren: über den fehlenden Sonnenausgleich. Während der FC Bayern nämlich budgetrelevant in die Wüste jettet, müssen Kloppo und die Jungs von Arsenal bei Scheißwetter ran.
Neuster Zulauf ist Jan Kirchhoff, der hierzulande einen Slalomlauf des Scheiterns hinter sich hat. Der Verteidiger galt mal als Riesentalent, versauerte nach seinem Weggang von Mainz 05 aber hauptsächlich auf der bayerischen Ersatzbank, wurde mal nach Schalke verliehen, brachte aber auch sehr viel Zeit in Rehazentren zu, und das ganz ohne Skiflug. Jetzt ist er beim AFC Sunderland angekommen, so was wie dem 1. FC Nürnberg, also einer Fahrstuhlmannschaft mit großer Vergangenheit. Sechs Meisterschaften haben die auf dem Konto! Und Kirchhoff legte laut Sun „eines der schlechtesten Debüts in der Premier League überhaupt“ hin. Bei Einwechslung stand es 1:1, am Ende 1:4. Und er war schuld.
Aber lassen wir doch den Kirchhoff im Dorf: „Man darf auch keinen Spieler nach nur einem Schluck beurteilen“, meinte sein Trainer, fragt sich nur, was für ein Schluck gemeint war. Aber egal. Hauptsache, der Ball rollt. René Hamann
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