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Archiv-Artikel

Winterlich stürmisch

INTERNATIONALES FILMFESTIVAL ROTTERDAM Von US-Indie-Premieren bis zu Einblicken in die Laufbildproduktion iranischer Filmkünstler

Das einnehmende Ergebnis dieser Do-it-yourself-Unternehmung ist eine originelle und treffende Slapstickkomödie

VON ISABELLA REICHER

Penelope ist eine Heldin des zeitgenössischen Frauenalltags: Künstlerin, verheiratet, Mutter zweier kleiner Söhne und im Rahmen des innerfamiliären Arrangements erstverantwortlich für Haushalt und Nachwuchs. Davon ist sie dauerschlapp und unkreativ. Dazu hat ihr Ehemann, mit der Einstudierung eines Theaterstücks beschäftigt, am Ende eines viel zu langen Tages nichts Besseres zu sagen, als ihr einen Besuch bei der Kosmetikerin anzuraten.

„Towheads“ heißt der erste Langfilm der US-Performerin und Video-Künstlerin Shannon Plumb. Ihren tatsächlichen Ehemann, den Blue-Valentine-Regisseur Derek Cianfrance, hat sie als „Stereotyp eines berufstätigen Familienvaters“ (Plumb) besetzt. Die gemeinsamen Söhne spielen mit, gedreht wurde am Wohnsitz der Familie in Brooklyn. Das einnehmende Ergebnis dieser Do-it-yourself-Unternehmung ist eine originelle und treffende Slapstickkomödie. Neben unglaublich komischen Szenen, in denen Penelope mit tückischen Objekten ebenso zu kämpfen hat wie mit der Schwerkraft, der eigenen bleiernen Müdigkeit oder dem Übermut ihrer Kinder, kann das unerwartet in tiefe Traurigkeit umschwingen: Einmal, nachdem sie begonnen hat, den Haushalt zu bestreiken und ihr Gatte notgedrungen das Kochen übernimmt, kommt Penelope in Footballer-Montur, mit Kampfbemalung und Helm zum Essen an den Tisch – und plötzlich wirkt sie wie eine Wiedergängerin von Gena Rowlands’ unnachahmlicher Mabel Longhetti („A Woman Under The Influence“). Der Moment ist zum Heulen schön.

„Towheads“ war als Weltpremiere in der Festivalsektion Bright Future zu sehen, aber neue Arbeiten von US-Amerikanerinnen überzeugten auch sonst in diesem 42. Festivaljahrgang im winterlich stürmischen Rotterdam: Nina Davenport etwa dokumentiert in „First Comes Love“ die Verwirklichung ihres mit Anfang vierzig immer drängender werdenden Kinderwunschs – als alleinstehende Frau in prekären ökonomischen Verhältnissen. Die durchaus mit Blick auf Unterhaltungswert inszenierte Langzeitselbstbeobachtung, die mit dem vierten Geburtstag von Davenports Sohn Jasper endet, verliert nie den Bezug zum gesellschaftlichen Kontext. „First Comes Love“ erweitert sich zum Bild einer (Frauen-)Generation. Der Wettbewerbsbeitrag „It Felt Like Love“ wiederum kreist in präzise erfassten Szenen eines Feriensommers ums körperliche Erwachen der vierzehnjährigen Lila. Die junge CalArts-Absolventin Eliza Hittman erzählt davon, indem sie Blicken folgt, Körper, Gesten und Posen zwischen ausgestellter Coolness und schlecht verborgener Unsicherheit festhält.

Die Preise wurden am Ende an die junge Slowakin Mira Fornay – für ihr Gesellschaftsdrama „My Dog Killer“ –, den Österreicher Daniel Hoesl – für seine visuell berückende Selbstneuerfindungskomödie „Soldate Jeanette“ – und den Iraner Mohammad Shirvani vergeben. Dessen „Fat Shaker“ – aus der Vorauswahl fürs Teheraner Filmfestival laut Shirvani jüngst wieder ausgeladen – ist als surrealistische, deftige Reaktion auf jenen sozialrealistischen Strang angelegt, den man auch in Europa mit dem iranischen Filmschaffen assoziiert. Im diesjährigen Festivalprogramm hatte man mit Inside Iran gleich einen Schwerpunkt eingerichtet, der dieses Bild mit einer breiten Auswahl aktueller Arbeiten und vielen Gästen ordentlich durchschüttelte: Performance-Videos und andere Miniaturen, welche ein Showcase von Künstlerinnen und Künstlern der Teheraner Parking Gallery versammelte, fanden darin ebenso Platz wie Neues von arrivierten und teils ins Exil gezwungenen Regisseuren wie Mohsen Makhmalbaf, Bahman Ghobadi und Abolfazl Jalili. Ein auf Basis von Reisen und über Jahre hinweg etablierten Kontakten zusammengestellter Querschnitt, der mit seinen häufig ohne offizielle Erlaubnis realisierten Beiträgen vor allem ungebrochene Vielfalt und Vitalität vermittelte: Mit einer Charakterstudie wie „Parviz“ von Majid Barzegar, in der „Fat Shaker“-Hauptdarsteller Levon Haftvan als ewiger Sohn und scheinbar unerschütterlicher Phlegmatiker plötzlich einen unheimlichen Persönlichkeitswandel hinlegt. Oder mit Vahid Vakilifars „Taboor“, der Teheraner Stadtraum, Parkgaragen, Heizungskeller oder Fahrstühle gekonnt reduziert zum unheimlichen Schauplatz einer dystopischen Science-Fiction-Erzählung umdeutet.

Programme wie dieses, genauso wie Tributes für die ukrainische Regieveteranin Kira Muratova und den deutschen Ausnahme-Fernsehhandwerker Dominik Graf oder überhaupt das anhaltende Interesse am Filmschaffen entlegener Weltgegenden – all das macht den Wert dieser herzlich unglamourösen Veranstaltung aus. Nachts erklärte mal in der Straßenbahn ein Fahrgast auf Nachfrage des Schaffners, das Rotterdamer Festival sei jenes der „armen Filmemacher“. Zweifellos ein Ehrentitel.