Winterbottoms „The Look of Love“: „Mad Men“ im Nacktheitengeschäft
Porträt eines Epochen- und Sittenwandels: In Michael Winterbottoms „The Look of Love“ triumphiert die Ausstattung über die Geschichte.
War sie nun nackt oder nicht? Macht ein G-String den Unterschied ums Ganze? Was heute keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorholt, beschäftigt in diesen schwarz-weißen 50ern noch medienwirksam die Justiz: Stand Jean (Anna Friel), die Ehefrau von Paul Raymond (Steve Coogan), einem Impresario halbseidener Etablissements im Londoner Vergnügungsviertel Soho, nun also nackt auf der Bühne?
Das Gericht befindet: Ja, stand sie. Was Strafen in empfindlicher Höhe nach sich zieht, da seinerzeit noch mit erhobenem Zeigefinger reguliert wurde, was sich auf britischen Bühnen ziemt und was nicht.
Jedoch: „Gut investiertes Geld“, triumphiert der gewiefte, eloquent britisch auftretende Geschäftsmann, der bei seinem Tod in den Neunzigern, nach einer Karriere als Bühnenbetreiber, Verleger schmieriger Herrenmagazine und Immobilienunternehmer, als reichster Mann Großbritanniens galt.
„The Look of Love“. Regie: Michael Winterbottom. Mit Steve Coogan, Anna Friel u. a. GB 2013, 101 Min.
Er erklärt, unter dem Blitzlichtgewitter der skandalsüchtigen, aber mit reichlich Champagner eingekauften Presse, sein Haus zum Privatclub – Zutritt nur für Mitglieder – und umgeht auf diese Weise lästige Theaterauflagen.
Bald 45.000 Mitglieder machten aus dem Haus mit seinen, von heute aus betrachtet, niedlichen Nuditäten ein brummendes Gewerbe. Im Zuge werden aus schwarz-weißen 50ern farbenfreudige 60er, vom Exzess der 70er und 80er ganz zu schweigen. Die Grenzen dessen, was buchstäblich im Zentimeterbereich möglich ist und was nicht, bleiben dabei meist lose im Blick: In den 70ern bringt eine Debatte darüber, ob eine Fotografie in Raymonds Magazin Men Only die Scham einer Frau einsichtig genug entblößt, um schon als Pornografie zu gelten, den Mann immerhin noch ins Fernsehen, wo er zum Vergleich echte Pornohefte aus dem liberalen Skandinavien präsentiert.
Obskure Dramaturgie
Regisseur Michael Winterbottom und Drehbuchautor Matt Greenhalgh wählen eine etwas obskure Dramaturgie, um den Aufstieg eines aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Arbeiterkindes zu einem bis ans Lebensende ungebrochen erfolgreichen Geschäftsmann zu zeigen: In lose verbundenen Episoden erzählen sie diese Geschichte als per Videoband induzierte Flashbacks eines alten, gebrochenen Mannes, der gerade seine Tochter, die dem drogenaffinen Showbiz nicht gewachsen war, beerdigt hat.
Es ist die Geschichte von Aufstieg und Niedergang eines Mannes, dem über Erfolg und angewandter Libertinage das eigene Leben, vor allem das private Glück, aus den Händen geglitten ist, und der nun in seinen Erinnerungen den Moment seiner Biografie dingfest zu machen versucht, an dem sich das Blatt gewendet hat.
Stolz erklärt er etwa anfangs seiner Enkelin, welche Häuser in diesen Straßen – fast alle – ihm gehören. Warum er so viel Besitz angehäuft hat, fragt sie. Um für seine Nachkommen vorzusorgen, sagt der Großvater der Enkelin, deren Mutter er gerade beerdigt hat, und kauft ihr beim Bäcker einen Kuchen, wie er hier zuvor schon seiner Tochter Leckereien gekauft hat.
Wenn es diese kleinen Momente zärtlicher Zuneigung sind, auf die es ankommt, gerät dem Film dieses Anliegen ziemlich aus dem Blick: Dem Glam von Burlesque, dem James-Bond-Look der 60er, dem Porn Chic der 70er und dem Gloss der 80er verfällt Winterbottom mit Haut und Haar. Das Porträt eines Epochen- und Sittenwandels ist bis ins Emblematische verdichtet.
Nostalgische Ästhetik
„The Look of Love“ bedient eine mit modernen Mitteln erzielte, fetischisierend nostalgische Ästhetik, die im Schub der völligen Anverwandlung die Oberflächenreize vergangener Zeiten als deren ureigentlichen Ausdruck verkauft. Wenn man so will: „Mad Men“ im Nacktheitengeschäft – was allerdings übersieht, dass es der gefeierten US-Serie ja tatsächlich gelingt, den historischen Wandel der 60er Jahre unter ihrem exhibitionierten Look im Detail begreifbar zu machen.
„The Look of Love“ reiht sich dabei in die Abfolge sicher stellenweise unterhaltsamer, insgesamt aber eher glückloser Versuche der letzten Jahre im Kino ein, die Mentalitäts- und Sittenumbrüche der 60er und 70er anhand besonders exponierter Persönlichkeiten festzumachen, ob es dabei nun um den Siegeszug von Hasch in „Mr. Nice“, um Pornografie im aktuellen Biopic „Lovelace“ oder hier nun um Tittenheftchen geht. Es handelt sich dabei – mal mehr, mal weniger – um den Triumph der Ausstattung über die Geschichte.
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