berliner szenen: Wildfremde, Halbfremde
Es war alles egal
Einmal war ich DJ. Eigentlich bin ich öfter derjenige, der auf einer Veranstaltung im Kaffee Burger die Platten auflegt, aber nur einmal war ich richtiger DJ, heißt: Ich habe nicht für mich, sondern für die Leute aufgelegt. Und aufgelegt habe ich wie der Teufel, Hits, Non-Hits, es war alles egal, die Leute begannen zu tanzen. Erst ein Paar, freundlich, Standardtanz, dann tanzten irgendwann um die dreißig Leute, und Tische mussten beiseite gerückt werden. Wildfremde zeigten den Schumi-Daumen, Halbfremde brachten mir Getränke. Leider war ich betrunken. Den Tag über hatte ich nichts gegessen und war aufgeregt, und als ich ans Auflegen ging, hatte ich schon drei große Biere getrunken. Dazu kam dann noch Schnaps. Ich musste mich abstützen, wenn ich mich nach meinen Platten bückte, weil ich sonst umgefallen wäre. Irgendwann war dann um fünf Uhr der Laden leer, und ich bin nach Hause gegangen. Das vermute ich, denn am nächsten Morgen fand ich mich in meinem Bett. An die letzten zwei oder drei Stunden des Abends kann ich mich nicht erinnern. Ich weiß auch nicht mehr, was ich aufgelegt habe. Nun begegnen mir öfter Wildfremde und Halbfremde, loben mich noch mal und fragen mich, wie eigentlich der Abend ausgegangen sei, sie könnten sich nicht mehr erinnern. Gestern war ich wieder im Kaffee Burger, man lobte mich und fragte, ob ich wüsste, wie man nach Hause gekommen sei, denn man könne sich nicht mehr erinnern. Werner, mit dem ich den Abend organisiert habe, weiß, dass es super war, doch weiß er nicht, warum: Er kann sich leider nicht mehr erinnern. Ich habe niemanden getroffen, der noch weiß, was geschah. Aber schön, schön ist er doch gewesen, dieser Abend. Glaube ich.
JÖRG SUNDERMEIER
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