: Wiesenthal will neues Verfahren gegen Grubbe
■ 1969 seien nicht alle Mordvorwürfe gegen den ehemaligen Kreishauptmann geprüft worden. Staatsanwaltschaft Darmstadt schließt neue Ermittlungen nicht aus
Der Leiter des jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, Simon Wiesenthal, ist für die Wiederaufnahme eines Ermittlungsverfahrens gegen den ehemaligen Kreishauptmann von Kolomea, Claus Volkmann. Da Mordvorwürfe gegen den später als Peter Grubbe bekannt gewordenen Volkmann in einer gerichtlichen Voruntersuchung Anfang der sechziger Jahre offenbar nicht berücksichtigt wurden, müßten diese Fälle neu überprüft werden, sagte Wiesenthal gegenüber der taz.
Nachdem die Doppelidentität Volkmann/Grubbe durch die taz bekanntgeworden war, hatte Wiesenthal die Aussagen von Zeugen, die Grubbe schwer belasten, in einem NDR-Interview öffentlich gemacht. Danach wollen zwei Augenzeugen gesehen haben, wie Volkmann selbst auf Juden schoß. In einer eidlichen Aussage vor der Untersuchungsstelle für NS-Gewaltverbrechen in Tel Aviv gibt einer dieser Zeugen an, daß er gesehen habe, wie Volkmann die jüdische Schneiderin Sala Becher tötete. Ein anderer Zeuge gibt an, beobachtet zu haben, wie der Kreishauptmann von Kolomea einen Juden namens Brawer erschoß. „Mord bleibt Mord“, sagte Wiesenthal, „jeder Mordfall muß geklärt werden.“
Gegen Grubbe war 1969 ein Vorermittlungsverfahren vom Landgericht Darmstadt wegen Mord und Beihilfe zum Mord „außer Verfolgung gesetzt“ worden, aus Mangel an Beweisen. Die Staatsanwaltschaft in Darmstadt schließt aber nicht aus, daß bei einer veränderten Sachlage neu ermittelt wird. Sollten die Mordvorwürfe Wiesenthals in dem Ermittlungsverfahren 1969 nicht geprüft worden sein, müßte sie ein neues Ermittlungsverfahren einleiten. Für den Sprecher der Darmstädter Staatsanwaltschaft, Herbert Spohn, wäre dies jedoch ein absolutes Novum: „So etwas hatten wir noch nie, daß ein einmal von einem Gericht außer Verfolgung gesetztes Verfahren wieder neu aufgenommen wird. Wir müssen aber bei Bekanntwerden von neuen Vorwürfen gegen Grubbe von Amts wegen tätig werden.“
In einem Spiegel-Interview hatte Grubbe jede Schuld am Tod von Juden abgestritten. Er habe vielmehr versucht, einzelnen Juden falsche Pässe zu beschaffen. Zeugen dafür gibt es nicht.
Von den etwa 1.100 Verfahren gegen mutmaßliche NS-Verbrecher vor deutschen oder österreichischen Gerichten kennt Simon Wiesenthal nur „drei oder vier“ Fälle, in denen die Beschuldigten ihre Tat zugaben. Wiesenthal glaubt Grubbe nicht: „Ein Kreishauptmann mußte ein 150prozentiger Nazi sein. Er war schließlich für einen großen Bezirk zuständig. Da nahm man doch nicht zufällig einen, der halt in der Partei war. Ob Volkmann das Wort ,Endlösung‘ jemals gehört hat, ist egal: was es bedeutet, hat er gesehen.“
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