Wieder Diskussion um mögliche Stasi-Mitarbeit: Neue Indizien gegen Gysi

Der populärste Linke Deutschlands, Gregor Gysi, hat sich stets dagegen gewehrt, IM der Stasi gewesen zu sein. Neue Dokumente und ein Zeuge stärken nun die Indizien dafür, dass er es war.

Auf ihn fällt nun ein naheliegender Verdacht: Gregor Gysi. Bild: dpa

Eigentlich hätte Thomas Klingenstein .am Mittwoch im Berliner Oberverwaltungsgericht schwitzen müssen. Stattdessen schwitzt seinetwegen jetzt der Star der Linken, Gregor Gysi - und dafür brauchte sich Klingenstein nicht einen Schritt aus seiner Wohnung zu bewegen.

Gregor Gysi darf nicht als IM der Stasi bezeichnet werden. Nach einer Sonderuntersuchung stellte der Immunitätsausschuss des Bundestags 1998 zwar "die inoffizielle Tätigkeit des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik als erwiesen fest". Weil eindeutige Belege für eine IM-Tätigkeit fehlen, darf nicht öffentlich behauptet werden, dass Gysi für die Stasi gearbeitet habe. Der Politiker hat immer wieder gegen Medien geklagt und Erfolg gehabt: Es darf nicht behauptet werden, Gregor Gysi habe "seine Mandanten nicht verteidigt, sondern bespitzelt" (Landgericht Hamburg, 1994), er darf auch nicht als "Stasi-Spitzel" bezeichnet werden (Landgericht Hamburg, 1995). In der Zusammenfassung der Drucksache 13/10893 steht jedoch, "daß Gysi zumindest seit Ende 1979 bis 1982 personenbezogene Informationen über seinen Mandanten Robert Havemann an die HA XX/OG, die spätere HA XX/9, des MfS geliefert hat. Mit Bezug auf Gregor Gysi wurden in diesem Zusammenhang die Decknamen ,Gregor' und ,Notar' verwendet." LST

Vor rund einer Woche hatte der Maler eine gerichtliche Vorladung erhalten, um als Zeuge auszusagen - in der Sache "Dr. Gysi ./. BRD". Am Dienstag, wenige Stunden vor der geplanten Verhandlung, hatte er plötzlich eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter: Gysi habe seine Klage fallen gelassen. Die Verhandlung sei abgeblasen worden. "Da war ich baff", berichtet Klingenstein.

Es war in der Tat eine höchst ungewöhnliche Nachricht - schließlich lässt der Rechtsanwalt und Fraktionschef der SED-Nachfolgepartei Die Linke Gerichtstermine so oft nicht sausen. Schon gar nicht, wenn es indirekt um Fragen geht, die ihm seit Mitte der Neunzigerjahre von Bürgerrechtlern, Parteien und Behörden um die Ohren gehauen werden und die er stets vehement verneint: War er Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi? Und hat er in dieser Funktion DDR-Dissidenten verraten?

Regimekritiker, wie etwa seinen ehemaligen Mandanten Robert Havemann. Vor drei Jahren hatte die für die Stasiunterlagen zuständige Birthler-Behörde eine Akte über Havemann gefunden, die der Spiegel kurz darauf anforderte. Dagegen hatte Gysi vor dem Oberverwaltungsgericht Berufung eingelegt, unter Hinweis auf seine anwaltliche Schweigepflicht.

Wirft man einen Blick in das fünf Seiten umfassende Aktenfragment aus dem Jahr 1979, wirkt diese Argumentation jedoch arg bemüht. Angst dürfte dem Links-Mann vor allem der Inhalt des Berichts gemacht haben: Denn das ehemals geheime Schriftstück ist ein weiteres Indiz dafür, dass sein Verhältnis zum DDR-Geheimdienst weitaus enger gewesen sein dürfte, als Gysi behauptet.

Konkret geht es um ein Treffen am Abend des 3. 10. 1979 im brandenburgischen Grünheide. Laut Bericht nahmen an dem Treffen vier Personen teil: Havemann und seine Frau Katja, "Rechtsanwalt Dr. Gysi" und "eine männliche Person" namens "Erwin". Dann ist da noch von einer Autofahrt die Rede: "Der IM nahm ,Erwin' mit in die Stadt und erfuhr zur Person folgendes …"

Diese Autofahrt bringt den Linke-Fraktionschef jetzt in Erklärungsnot, und das ausgerechnet kurz vor dem Parteitag am Wochenende, dem ersten nach der Fusion von PDS und WASG. Unter Druck ist er deshalb, weil das Oberverwaltungsgericht "Erwin" als damaligen DDR-Dichter Thomas Erwin identifizieren konnte. Heute heißt er Thomas Klingenstein, ist Berliner Maler, und war am Mittwoch eigentlich als Zeuge geladen. Der taz sagt er: "Der Fahrer, der mich nach Berlin brachte, war Gysi."

Ist Gysi also der IM? "Der Stasi-Bericht legt für mich die Vermutung nahe", sagt Klingenstein. Und zwar auch deshalb, weil im Bericht nicht allein die Autofahrt genannt wird, sondern auch die Gesprächsinhalte. So heißt es in der Akte über "Erwin" alias Klingenstein: "19 Jahre, Abiturient, negativ eingestellt." Weiter wird beschrieben, ein "beabsichtigtes Studium" sei "abgelehnt" worden, weshalb "Erwin" als Aufsicht in einem Berliner Museum arbeite.

Auch habe er dem Staatsrat einen Protestbrief geschrieben - "gegen den Ausschluss einiger Schriftsteller aus dem Schriftstellerverband". "Das war alles Inhalt des Gesprächs", erinnert sich Klingenstein, der von sich sagt, keinerlei Rachegefühle gegen den Frontmann der Linken zu haben. Er mokiert sich lediglich darüber, dass er diesen Protestbrief damals nicht an den Staatsrat, sondern an den Vorsitzenden des Schriftstellerverbandes, Hermann Kant, adressiert habe. Und das Abitur habe er auch schon ein halbes Jahr hinter sich gehabt.

Neu ist der IM-Verdacht gegen Gysi nicht. Schon 1994 berichtete der Spiegel ausführlich über Indizien für eine Stasizusammenarbeit. Besonders brisant auch damals: die Dokumente über Havemann, in denen Gysi mitsamt einem "IM" hinter seinem Namen aufgeführt gewesen sein soll.

Licht in Gysis Vergangenheit sollte eine 1995 vom Bundestag beschlossene Sonderuntersuchung bringen. Für den Immunitätsausschuss stand nach der Untersuchung fest, dass Gysi für die Stasi arbeitete. Der damalige PDS-Mann klagte gegen den Bericht - und scheiterte am Bundesverfassungsgericht. Zahlreiche Einzelkriege mit den Medien gewann er hingegen.

Und was sagt Gysi auf die neuen Verdachtsmomente? Nichts. Lediglich sein Sprecher reagiert und schimpft über die "wiederholten hanebüchenen Verdächtigungen", die auch "im Laufe der Zeit nicht wahrer" würden.

Für Joachim Gauck, den ehemaligen Chef der Stasiunterlagenbehörde, ist derlei Zurückhaltung nur ein Zeichen indirekten Schuldeingeständnisses. "Gysi glaubte offenbar nicht mehr an einen rechtlichen Erfolg", sagt Gauck. "Das zeigt der Rückzug seiner Berufung". Und Zeuge Klingenstein geht noch ein Stückchen weiter: "Ein Schweigen entkräftet nicht gerade den naheliegenden Verdacht."

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