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Wie eine Decke der Himmel

Für Harry Hachmeister ist es das Gym, für Ahu Dural Siemensstadt, für Katharina Reinsbach der Park ihrer Kindheit. Eine Ausstellung in der Galerie Parterre blickt auf die Orte, die ein Leben prägen

Ausstellungsansicht Heaven Came Down Like a Blanket, Galerie Parterre 2025. Harry Hachmeister, „Hermann“, 2023 Foto: Marjorie Brunet Plaza, © Harry Hachmeister und die VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Von Beate Scheder

Fitnessstudios sind eigenartige Soziotope. Insbesondere die männlich dominierten Freihantelbereiche sind von spezifischen Codes geprägt. Alles ist auf Körpermodellierung und -Optimierung ausgerichtet. Anerkennung erhält, wer stark aussieht, viel Gewicht stemmen kann und die eigene Muskulösität zu inszenieren weiß. Fast gleicht das Training einer performativen Praxis. Oder einer bildhauerischen. Nur, dass eben weder Marmor noch Ton bearbeitet wird, sondern der eigene Körper.

Für trans maskuline Personen kommen weitere Bedeutungsebenen hinzu. Das Gym steht für das Versprechen, sich die gewünschte Männlichkeit gewissermaßen antrainieren zu können. In herkömmlichen Studios aufzutauchen, sich einzufügen, gar die Sammelumkleide zu benutzen, bedarf jedoch Mut. In Gyms, die sich gezielt an ein queeres Publikum richten, wird der Pumpraum hingegen zum Safe Space. Ein solches hat der Künstler Harry Hachmeister in der Between Bridges Residency eingerichtet, wo er noch bis Ende Juni Stipendiat ist. An drei Tagen pro Woche wird dort kostenloses Training für trans*, inter und nicht-binäre Personen angeboten.

Zum Gallery Weekend öffnete Hachmeister die Türen auch für andere. Unter dem Titel „Clay Bodies & Gym Buddies“ konnte man sein Atelier besichtigen, auch den Fitnessbereich. Den vorderen Raum hatte er eigens dafür in ein Haushaltswarengeschäft für Getöpfertes verwandelt. Windschiefe Kerzenständer und bucklige Salzstreuer, Eierbecher, Zwiebeltöpfe und Handtuchhaken gab es zu kaufen.

Auf selbstironische Weise Dinge zu verbinden, die gemeinhin männlich oder weiblich konnotiert sind, ist eine Spezialität Hachmeisters. Einen Eindruck davon verschaffen kann man sich derzeit auch in der Galerie Parterre in Prenzlauer Berg, wo Galerieleiter Björn Brolewski in der Ausstellung „Heaven Came Down Like a Blanket“ Arbeiten Hachmeisters mit Zeichnungen von Katharina Reinsbach sowie Skulpturen, Installationen und Wandarbeiten von Ahu Dural zusammenbringt.

Im Gym wähnen könnte man sich kurzzeitig auch da. Mit den Hanteln und Gewichten, die Hachmeister gleich in den ersten Raum der Galerie gestellt hat, könnte man allerdings gewiss keine Muskeln heranzüchten. Nicht aus schwerem Gusseisen bestehen sie, sondern sind aus zarter Keramik, zerbrechlich statt massiv, uneben verformt statt fabrikmäßig genormt. Keine gleicht der anderen. Irgendwie niedlich sind sie und kein bisschen respekteinflößend.

Ums Eck an der Wand hängen weitere Keramikarbeiten Hachmeisters, Wandteller, auf denen Menschen sich freundschaftlich bis romantisch umschlungen halten. Halbnackte Männer beim Kuscheln mit Hund, beim Liebesspiel oder auch – da sind sie wieder – als Gym Buddies. Ein Spiel mit Posen, Gesten, Rollen ist auch Hachmeisters siebenteilige Fotoserie „Sweeter than Anything“. Immer wieder anders – sexy und cool, selbstbewusst und scheu, feminin, maskulin und ganz viel dazwischen – inszeniert sich der Künstler darauf, mit freiem Oberkörper auf dem Sofa, vor ihm auf dem Couchtisch zwei Gläser Wein. Das Setting eines Dates, nur ohne Gegenüber.

Immer wieder anders – sexy und cool, selbstbewusst und scheu, feminin, maskulin und ganz viel dazwischen – inszeniert sich der Künstler

Ahu Durals Installationen, in denen die Künstlerin Fotos aus dem Familienalbum mit an Möbelstücken erinnernden Objekten kombiniert, erzählen von anderen Orten. Von Siemensstadt, wo Durals Mutter in der Fabrik arbeitete und die Familie in einer Hochhaussiedlung lebte. Architekturen, Gegenstände, Formen, die sich eingeprägt haben, verschmelzen zu neuen, laden zum Nachdenken über Migrationsgeschichte, Frauenbilder, Konsum- und Arbeitswelten ein. Durals Mutter musste – man kann es im Ausstellungstext nachlesen – bei ihrem Vorstellungsgespräch zeigen, wie viele Stäbchen sie innerhalb von 60 Sekunden in gelöcherte Holzblöcke stecken konnte. In der Kunst der Tochter tauchen diese Holzblöcke nun wieder auf, Tisch- oder Stuhlbeine, die in hochhackigen Damenschuhen münden, sind ein anderes Element, das mehrfach vorkommt, das Leben, die Kämpfe der Mutter, sie spiegeln sich darin.

Wer oder was prägt einen wie? Was bedeutet Nähe, im räumlichen wie menschlichen Sinne? Darum geht es auch bei Katharina Reinsbach. Auch sie zieht es zur Wohnung ihrer Kindertage zurück und an den benachbarten Kleistpark, den sie kreisförmig verdichtet. Auf anderen Zeichnungen winden sich Körperglieder ineinander. Zwischen den Arbeiten von Dural und Hachmeister gehen sie in ihrer Zartheit fast ein wenig unter. Es lohnt sich jedoch, eine Extrarunde für sie zu drehen.

„Heaven Came Down Like a Blanket“: Galerie Parterre. Bis 8. Juni, Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm unter www.galerieparterre.de

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