Wie die USA Grönland belogen: Die verschwundene Atombombe
Vor 40 Jahren stürzte ein US-Jet in Grönland ab. Eine seiner Atombomben wurde nie geborgen. Sie liegt im Meer - oder im Eis, das schmilzt.
Im grönländischen Inlandeis oder vor der Küste Nordwestgrönlands liegt eine Atombombe. Sie trägt die Nummer 78252 und hing ganz unten im linken Bombenschacht eines Atombombers vom Typ B 52. Der am 21. Januar 1968 nahe der grönländischen US-Basis Thule abstürzte.
Die vier Atombomben an Bord waren glücklicherweise nicht scharf. Beim Aufschlag explodierte allerdings der in ihnen enthaltene konventionelle Sprengstoff, was dazu führte, dass die Bombenteile sich teilweise tief ins Eis einschmolzen. Mit Hilfe grönländischer und dänischer Arbeiter wurde umgehend eine umfassende Suche gestartet. Nach dreimonatiger intensiver Aufräumarbeit meldeten die US-Behörden Vollzug: Man habe das Flugzeugwrack samt aller Bomben gefunden und alles ordnungsgemäss weggeschafft. Doch die Wahrheit sieht anders aus. Das US-Militär suchte noch monatelang nach der offiziellen Vollzugsmeldung in aller Heimlichkeit sowohl auf dem Land, wie in den Gewässern vor der Küste weiter. Und gab dann auf: Bombe 78252 wurde nie gefunden.
Am Montag rollte die britische BBC in einer Dokumentation diese Geschichte anhand neuer Dokumente aus US-Archiven noch einmal auf. Diese bekräftigen, was die Interessenvertretung ehemaliger Thule-Arbeiter – die bei den Aufräumarbeiten in stark strahlender Umgebung eingesetzt und teilweise schwer gesundheitlich geschädigt worden waren – schon immer vermutet hatte: Man hatte sie nicht nur über die möglichen Strahlengefahren im Unklaren und ohne ausreichende Schutzanzüge arbeiten lassen. Sondern die grönländischen und dänischen Behörden sowie die NATO-Verbündeten waren auch ganz bewusst über den Verbleib der vierten Bombe getäuscht worden.
Gegenüber ausländischen Regierungen solle die Tatsache, dass die geheime Pentagon-Suchoperation "zum Ziel hat eine verschwundene Waffe oder Teile davon zu suchen, als vertraulich behandelt werden", ist in von BBC nun gefundenen US-Regierungsdokumenten zu lesen: "Gegenüber Dänemark soll bezüglich der Operation auf die Vornahme von Vermessungsarbeiten auf dem Meeresboden hingewiesen werden." Auch aus anderen Quellen wurden BBC diese Informationen bestätigt. Das Pentagon verweigert allerdings auch 40 Jahre danach einen anderen Kommentar als "alle 4 Bomben sind zerstört worden".
Schon im Jahre 2000 waren aufgrund des unter Präsident Clinton erweiterten Öffentlichkeitsgesetzes erstmals als heimlich und vertraulich gestempelte Papiere öffentlich geworden, die das spurlose Verschwinden einer Atombombe nahe legten. Vorher zwar auf mögliche Staatsgeheimnisse durchgesehen und manuell geschwärzt – dabei war aber offenbar geschlampt worden: Mitten unter Tausenden von Dokumenten der US-Atomenergie-kommission ergab sich aus einem von General Edward B. Giller am 18. März 1968 unterschriebenen Bericht, dass von der Bombe 78252 nur eines gefunden worden war: der Fallschirm, an welchem sie bei dem Bomberabsturz hätte auf dem Boden landen sollen.
Die USA hatten – so ein Bericht vom 12. April 1968 - jeden gefundenen Metallsplitter, jeden kleinsten Teil der anderen abgestürzten Bomben genau zuordnen können. Was die drei anderen Bomben angeht. Doch keine Spur von der vierten. Ohne Dänemark zu informieren, versuchten u.a. U-Boote monatelang die 78252 aufzuspüren. Nicht so sehr in Sorge um eine Strahlengefahr, sondern aus Angst, dass diese womöglich der Sowjetunion in die Hände fallen könnte. Wie planmässig man die dänische Regierung und die Nato-Verbündeten belog, geht aus einem Fax vom 27. August 1968 hervor, in welchem die Atomenergiekommission beruhigt wird, man habe "wie verabredet nur die ausgewählten Teile" von Videoaufnahmen Kopenhagen zugänglich gemacht. Irgendwo rostet also Nummer 78252 mit mehreren Kilo Plutonium vor sich hin. Seit 40 Jahren. Im Meer oder im grönländischen Eis. Das nun immer schneller schmilzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe