■ Wie der butterlose Biertrinker zu neuer Form aufläuft: Brot mit Käse, Käse mit Brot
„Nie wieder dick!“ fordert – mit Ausrufezeichen – die aktuelle Ausgabe (1/1999) des O-Saftkopp- und Muskelschmalz-Magazins Amica. „Die Lösung aller Figurprobleme“ und „Mühelos jeden Monat 1,5 kg runter“ verspricht man da, freilich auf der Grundlage „sensationeller Erkenntnisse aus der Wissenschaft“ – und nicht aus dem Kochtopf.
Ich war mal dick, nicht grad so wie Ottfried Fischer, nur zirka eine halbe Kuh dick, nein, sagen wir: so um die eineinhalb Bohnenstrohsäcke herum. Ganz früher war ich's übrigens nicht, dann aber doch. Das kam daher, daß ich aus streng beruflichen Gründen über Gebühr viel Bier schlucken mußte, etwa zwölf bis achtzehn Flaschen pro Tag, denn ein Bierlexikon mit über 2.000 hart und gerecht kritisierten Marken will vollgetrunken sein. Ich verlor darob nicht nur meine Fahrerlaubnis, sondern auch jede Linie.
Niemand muß dünn sein. Dünnsein heißt nicht selten Doofsein. Die Ekstase der Entsagung entstellt des Menschen rühmliches Anlitz und beraubt ihn seiner wahrscheinlich gar das Denken überflügelnden Begabung: des Spachtelns, des Schnabulierens, des wohlgefälligen Vollstopfens.
Mir langte es jedoch plötzlich. Eines Tages sah ich mich unglücklicherweise im Fernsehen, und da riß ich ruckartig die Becel-Reißleine.
Das heißt: Ich ließ die Butter weg. Und innerhalb von drei Monaten verschwanden 30 Kilo. Fast. Vielleicht waren's auch fünf Monate, so genau kann ich das nicht mehr sagen, denn die erste und wichtigste Voraussetzung, um das Fatum Fett zu bezwingen und nicht dem Dämon Diät zu erliegen, also des nagenden Hungers und des nörgelnden Appetits, ist, keine Sekunde daran zu denken, was man tut. Man tut nämlich nichts. Abnehmen ist Nichtstun. Wer glaubt, Diäten erfordern neben haarklein ausgetüftelten Speiseplänen begleitenden Sport, der irrt. Treppensteigen bei jeder sich bietenden Gelegenheit, morgendliches Joggen und abendliches Schwimmen, zusätzlich gnadenloses Zirkeltraining – alles Quatsch und Mystifikation.
Ich saß Woche für Woche still und vergnüglich an meinem Schreibtisch, sah zum Fenster hinaus, schrieb Aufsätze, sah zum Fenster hinaus, reckte und streckte mich, schlief zwei, drei Stunden, schaute fern und aß streng antiwissenschaftlich Brot mit Käse, Käse mit Brot und Tomate, Gummibärchen und Tomatensalat und trank, um die Vitaminversorgung sicherzustellen, meine fünf, sechs frischen Bier pro Abend. Ich dachte mir nichts dabei: mir die Butter vom Brot zu nehmen, fiel unfaßbar leicht.
Ungläubig registrierte meine Umwelt erstaunliche Veränderungen. Warum unsere Mitmenschen ständig ungläubig erstaunliche Veränderungen registrieren müssen, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Denn es gibt ja kein Geheimnis: nur Ruhe bewahren und rauchen, die Pfunde schmelzen von alleine. Sie haben es sich anders überlegt und fliehen schlechtgelaunt ihren stoischen Wirtskörper. Ein befreundeter Mäßigkeitsverächter nennt meinen stringenten Stimulus-Steuerungsmechanismus „Anti-Fett-Diät“ – vollkommen zu Recht.
So gesehen darf ich jetzt – als wiedererschaffene Bohnenstange – bei Amica anfangen. 1,5 Kilogramm pro Monat weggeschafft von Rippe und Wange? Ein Witz! Ein Zeitungsklops! Ich garantiere Minimum 18.000 Gramm per Annum. Bei wem's nicht klappt, der bekommt mein Honorar für diesen garantiert fett-, kohlehydrat- und humorfreien Beitrag. Jürgen Roth
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