Wie der Punk nach Hannover kam (IV): Face der Coole
Style-mäßig bilden sich in der Szene drei Hauptrichtungen heraus. Unser Autor bevorzugt ein besonders hartes, verwahrlostes Outfit.
Was bisher geschah: Der Autor führt das Leben eines Punk. Er schläft im Freien oder bei Freunden, deren Eltern nicht da sind, greift Lebensmittel ab und provoziert Passanten.
Wir kamen immer mehr runter. Je weiter das ging, desto mehr Spaß hatten wir. Ein Typ namens Face war der Coolste. Er war ein echter Dandy, obwohl – damals wusste ich nicht mal, was das ist. Er hatte fast niemals Geld. Wenn doch, gab er es für Dinge aus wie englische Orangenmarmelade und anderes Zeugs aus dem Feinkosthandel, wo man nicht klauen konnte. Solange er konnte, kaufte er nur das Beste und Teuerste. Anschließend klaute er das Beste und Teuerste, wo und wie es eben ging.
Face hieß so, weil er ein extrem feines, schön geschnittenes Gesicht hatte, aristokratisch irgendwie, obwohl er so runtergekommen war. Sein Style unterschied sich. Er trug niemals den typischen Schmuck wie Sicherheitsnadeln, Nietenarmbänder oder Ketten. Er hatte ständig – sommers wie winters – einen langen grauen Mantel an, der einstmals sicher ziemlich edel gewesen und jetzt nur noch betonschmuddelfarben war. Darunter trug er Anzüge, die er aus Kleidersammlungen zog, und Rollkragenpullover, alles fast immer in grau, selten schwarz, niemals eine andere Farbe. Eigentlich war er ein Obdachloser, aber einer, der Bass in einer Band spielte.
51, lebt in Berlin und ist Journalist, Autor, Medienkünstler und Hubschrauberforscher. In der Punkszene in Hannover und Kreuzberg nannte er sich Rosa. Die taz.nord druckt in fünf Folgen eine gekürzte Fassung von Dubels autobiografischem Essay "Rosa - Erinnerungen an den jungen Punk" aus dem Bildband „Cool Aussehen“ (Hg.: Diana Weis, Archiv der Jugendkulturen 2012).
Bei den Jungs entwickelte sich der Stil – selbstverständlich mit Myriaden feinster Unterschiede im Detail und mannigfaltigen Überschneidungen – generell in drei Richtungen: Es gab die „normalen“, heute klassischen Hardcore-Punks, die mit einem A-im-Kreis und „Schieß doch Bulle“ auf der Motorradlederjacke explizit politisch sein wollten und dazu aufwändige Stachelhaare in Grün und Rot trugen. Dann gab es die Anzugjackenträger. Auch die bemalten ihre Klamotten und behängten sie mit Ketten und Buttons. Die Haare trugen sie kurz und spitz aufgestellt wie Johnny Rotten(12).
Und es gab eine kleinere Gruppe, die inzwischen auf Schmuck, Gadgets und Aufschriften verzichtete, gerade weil diese Dinge bei den anderen so beliebt waren. Zu dieser Gruppe gehörte ich. Es war ein letztlich dunkler, ganz verkommener Style, hart, kaputt, nur selten gab es farbige Highlights wie die rote Motorradjacke eines Typen namens Wixer („In der ist schon mal einer gestorben.“). Prätentiöse Verwahrlosung war auch so ein Begriff, den ich noch nicht kannte.
Daneben gab es noch eine kleine Szene von Intellektuellen und Musikern, die vom Punk zwar beeinflusst waren, sich aber nicht zugehörig fühlten, autonom bleiben wollten, sich sogar distanzierten, ohne wirklich ganz davon wegzukommen in einem so übersichtlichen Gemeinwesen wie Hannover. Die hatten allerdings auch ein konkretes Vorwissen über den Situationismus oder Lou Reed oder Krautrock. Sie kleideten sich betont neutral, unauffällig, fast bürgerlich, unter allergeringster Verwendung von Gadgets und Schmuck, der häufig weniger New Wave war als vielmehr generell Counterculture (13).
(12) Tatsächlich lassen sich Typifizierungen innerhalb der Entwicklung der scheinbar unkonventionellen Bekleidungshabits jener Jahre erkennen, die später zu Standards und noch später zu Karikaturen werden würden. Mir kam während der Niederschrift dieses Textes der Gedanke, dass es sich bei den Lederjacken-Punks um unbewusste Wiedergänger der englischen Rocker der 1960er gehandelt haben mag, während die Anzugjackenträger eher auf Teddyboys oder Mods pingten. Anfang der 1980er modelten sich tatsächlich viele Punks zu diesen Styles beziehungsweise Bewegungen hin um. Krasses Beispiel war Bärbel, der sich noch als Schlagzeuger bei Blitzkrieg von einer Woche auf die andere in eine Art Rockabilly verwandelte, indem er sich eine selbst genähte Südstaatenfahne auf den Rücken einer Jeansjacke (einer Jeansjacke!) applizierte und die Haare zu Tolle, Entenschwanz und Sideburns formte. Wie gesagt: eine Art Rockabilly. Es war ein Statement gegen die Verspießerung der Szene und das Punk-Fashion-Diktat, das einige der später Dazugekommenen als Ausdruck der reinen Lehre propagierten. Weder wollte Bärbel ein echter Billy sein, das wäre lächerlich gewesen, noch reichte es ihm aus, weiter nur Punk zu sein, was ihm inzwischen bereits lächerlich geworden war. Damit erfand er - zumindest für diese Breitengrade - Punkabilly.
(13) Ich spreche hier selbstverständlich von den genialen 39 Clocks und Konsorten, etwa Alice Dee, der mir erstmals Blondie vorspielte und mit dem ich dann die Band Rosa machen sollte, nach der ich fortan Rosa heißen werden würde.
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