Wie der Punk nach Hannover kam (II): Date mit Dussel
Nicht lange nach dem ersten Pogotanz beschließt der Held, Punk zu werden. Doch die Entscheidung hat unvorhergesehene Konsequenzen.
Was bisher geschah: Die Sex Pistols sind noch nicht in Hannover angekommen. Und so langweilt sich der Held beim lokalen Moped-Rowdyclub "Eagles", bis eines Tages in der Disko eine bis dahin unbekannte Musik aufgelegt wird: „Ça Plane Pour Moi“ von Plastic Bertrand.
Über Punk hatte ich zum ersten Mal in der TV-Zeitschrift Hörzu gelesen, in einem Programmhinweis zu irgendeinem Kulturmagazin, das dem neuen Phänomen aus England einen Beitrag widmete. Es gab ein Bild: ein Kinosaal vollbesetzt mit Leuten, die alle rote, grüne oder schwarze Haare trugen, schwarze Jacketts und 3D-Brillen. Unter dem Foto stand: „Neue Jugendbewegung aus England. Es sind Punks. Sie lachen nie.“ Das Problem: Auf dem Foto lachten alle. Wirklich alle.
Ich lernte auf Schaufenstergestalter und jobbte nachts in einer Kneipe namens Waldhäuschen. Für den Auftritt als Auszubildender bei Wertheim hatte ich mir einige Hemden zugelegt, die tagsüber schick neutral und nachts bloß schick waren. Die Feincordhose in Bordeaux gab es noch immer, auch wenn sie inzwischen ziemlich abgetragen war. Zwei schwarze Exemplare waren dazugekommen. Eine Levi’s 501 gab es auch schon. Beim Schuhwerk wechselte ich nach Anlass und Laune zwischen Turnschuhen (Puma), Stiefeletten (ochsenblutfarben mit Messingbeschlägen) und Combat Boots (schwarz).
51, lebt in Berlin und ist Journalist, Autor, Medienkünstler und Hubschrauberforscher. In der Punkszene nannte er sich Rosa. Die taz.nord druckt in fünf Folgen Dubels autobiografischen Essay "Rosa - Erinnerungen an den jungen Punk" aus dem Bildband "Cool Aussehen" (Hg.: Diana Weis, Archiv der Jugendkulturen 2012).
Die Entscheidung, Punk zu werden, traf ich in einer persönlichen Krise. Meine erste Freundin – Marina – hatte mich wegen eines Typen von den "Eagles" verlassen, der eine Honda Dax fuhr. Ich sah die beiden jeden Tag, sie hatten Lehrstellen in derselben Firma im Viertel, gleich gegenüber vom Waldhäuschen, wohin sich die Spielplatz- und Kioskszene inzwischen verlagert hatte.
Der Übergang war einfach. Ich erklärte ganz sachlich, dass ich nunmehr ein Punk sein würde. Für 50 Mark kaufte ich mir von einer Arbeitskollegin eine schwarzgrüne, hüftlange Lederjacke, die ihr Freund als zu altmodisch empfand. Diese Jacke versah ich mit Sicherheitsnadeln und Messingketten vom Eisenwarenhändler. Sie würde in den nächsten zwei Jahren mein wichtigster Besitz sein. Auch die bordeauxfarbenen Feincordhosen wurden jetzt richtig hergenommen und mit selbstgemachten „Bondage“- Applikationen ausgestattet. Nur eine Woche später datete ich bereits ein Mädchen, das sich Dussel nannte, die Sängerin der Hannoveraner Punkband Blitzkrieg.
Der Wechsel der Szene, der ja Zweck der Übung gewesen war, brachte Konsequenzen mit sich, die ich nicht bedacht hatte. Mein neues Outfit und Gebaren waren nicht wirklich zu vereinbaren mit den Anforderungen, die an einen jungen Dekorateur gestellt wurden. Meine Kollegen trugen Seidenschals zu Rollkragenpullovern und Cordsakkos mit Lederflecken an den Ärmeln. Sie waren Fans von Rattanmöbeln und orientalischem Zeugs, das man da draufstellen konnte.
Ich war zwar immer noch an den Präsentations- und handwerklichen Techniken interessiert, jedoch tödlich gelangweilt von den Dingen, die da präsentiert wurden. Dire Straits konnte ich auch nicht mehr hören. Folgerichtig schmiss ich die Lehre.
In der lokalen Szene wurden diejenigen, die man als Poser ansah, auch „Diskopunks“ genannt, was mich zunächst irritierte. Es ging dabei jedoch nicht um die Herkunft des Einzelnen aus der Diskoszene, sondern darum, was für Klamotten er trug, ob diese gekauft waren, es sich also um Punkmode handelte, oder ob er abgewetzte oder selbstgemachte Klamotten trug (6).
Wobei diese Kategorie nur auf Jungs angewendet wurde. Punkmädchen wurde das Aufhübschen zugestanden, es wurde sogar erwartet. Je runterer, je ranziger der Typ, desto spektakulärer die Alte (7).
(6) Es gab schon recht früh auch in Hannover einen Ausstatter, der sich – wie überall üblich in diesem Segment – an McLarens und Westwoods Londoner Boutique SEX orientierte, also zunächst Teddyboy-, anschließend Lack-, Leder-, Punk- und New-Wave-Klamotten und schließlich alles zusammen anbot, zu selbstverständlich exorbitanten Preisen.
(7) Im Rückblick zeigt sich, wie konform die scheinbare Vielfalt zum Beispiel der Mädelsfrisuren tatsächlich war. Alles war blassblond, blassgrün, blassrot und im Einheitslook Catstyle frisiert. Wer das einmal nachsehen möchte, der klicke sich durch die Alben der frühen Hannover-Jahrgänge das Punkfoto-Archivs auf karlnagel.de.
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