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Wie Tudjman mit der Wahl Groß-Kroatien baut

■ Der Präsident kennt nur Kroaten, keine Staatsbürger: Das neue Wahlgesetz soll der Regierungspartei mit den Stimmen der „Auslandskroaten“ zum Sieg verhelfen

Auf den ersten Blick braucht niemand Bedenken zu haben: Es steht alles im Wahlgesetz. „12 Abgeordnete“, so heißt es in Paragraph 24a, „sollen von Wählern, die ihren Wohnsitz nicht auf dem Territorium der Republik Kroatien haben, bestimmt werden.“ Damit haben alle Auslandskroaten, die über einen kroatischen Paß verfügen, das Recht, an den Wahlen in Kroatien teilzunehmen. Zusammengenommen handelt es sich dabei um mehr als 400.000 Menschen. So weit, so gut. Briefwahl gibt es ja in vielen Ländern.

Eine eigene Liste für im Ausland lebende Staatsbürger jedoch nicht. Bei näherem Besehen wird die ganze Angelegenheit allerdings zu einem höchst brisanten Politikum. Denn auch in Bosnien- Herzegowina lebende Kroaten können bei den Wahlen in Kroatien abstimmen. Das wäre immer noch nicht bedenklich, wenn es sich dabei um in Bosnien lebende kroatische Staatsbürger handeln würde. Es handelt sich bei diesen Leuten jedoch zumeist um Bosnier katholischen Glaubens, die über kroatische Pässe verfügen (und damit de jure kroatische Staatsbürger sind).

Den kroatischen bzw. katholischen Bosniern wurde es während des Krieges leicht gemacht, sich die entsprechenden Papiere zu besorgen. Da der bosnische Paß international nichts wert ist – überall sind Reisebeschränkungen eingeführt, die Visabeschaffung wird von fast allen Staaten außerordentlich erschwert –, lag es für die bosnischen Kroaten nahe, das Angebot des kroatischen Staates anzunehmen. Ein kroatischer Paß öffnet nämlich die Tür wenigstens zu manchen Ländern dieser Welt. Und er eröffnet jetzt sogar die Möglichkeit, über die Geschicke des Nachbarlandes Kroatien bei Wahlen abzustimmen.

Daß die Kroaten zumindest der Westherzegowina eifrige Wähler der kroatischen Regierungspartei HDZ sein werden, ist ein offenes Geheimnis. Das im letzten Moment im Zagreber Parlament durchgepaukte Wahlgesetz bekommt so den Geruch des parteitaktischen Kalküls. Damit nicht genug: Mit dem Gesetz wird dem Ziel der nationalistisch-extremistischen politischen Führung der bosnischen Kroaten in der Westherzegowina, das von ihnen beherrschte Territorium mit Kroatien zu einem Staat zu verschmelzen, über einen Umweg schon verwirklicht.

Da in diesen Gebieten schon längst die kroatische Währung Kuna als Zahlungsmittel benutzt wird, sind die Wahlen ein weiterer Schritt in Richtung Groß-Kroatien. Die seit März 1994 geformte bosniakisch-kroatische Föderation in Bosnien-Herzegowina – also die Föderation zwischen Muslimen und Kroaten – ist damit in ihrer Existenz bedroht. Daran kann nicht einmal die Tatsache rütteln, daß Kroaten und Bosniaken (Muslime) in den letzten Monaten Seite an Seite militärisch gegen die serbisch-bosnische Armee gekämpft haben.

Der Regierung in Sarajevo bleiben nur wenige Gegenmittel. Eines ist der Protest gegen diese Wahlpraxis. Und der Protest gegen die Blockadepolitik der Kroaten in der Föderation. Sarajevo darf sich immerhin der Unterstützung ausländischer Mächte sicher sein: Hans Koschnick, der Administrator der Europäischen Union, hat den kroatischen Extremisten mehrmals mit der Beendigung der gesamten Mission in Mostar gedroht. Auch der „Internationale Streitschlichter für die Föderation in Bosnien-Herzegowina“, der deutsche Bundestagsabgeordnete Christian Schwarz-Schilling, läßt durchblicken, daß die kroatische Seite bei weiteren Verletzungen des Abkommens mit Gegenmaßnahmen aus den USA, der EU und aus Deutschland zu rechnen habe.

Doch noch ist nichts geschehen. Und mit Sorge muß die Regierung in Sarajevo zusehen, wie die von Kroatien unterstützten kroatisch- bosnischen Truppen zu einem Wettlauf mit der bosnischen Armee bei der Rückeroberung Bosnien-Herzegowinas angetreten sind. Rund 33 Prozent des Gesamtterritoriums Bosniens werden jetzt von den Kroaten, nur rund 21 Prozent von der bosnischen Regierung beherrscht. Es kam Mitte September schon zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Kroaten und Bosniaken.

Die kroatischen Extremisten scheuen sich nicht einmal, über 300 Muslime, die unter serbischer Herrschaft in Glamoc und Grahovo überlebt hatten, nach der Eroberung dieser beiden Städte nach Livno zu bringen, um sie dann in muslimische Mehrheitsgebiete zu verfrachten. Damit setzen die extremistischen Kroaten die ethnische Säuberung der Serben in diesen Gebieten fort. Die von Kroaten eroberten Gebiete sind nun von Serben und Muslimen „gesäubert“. Und schon munkelt man, daß der kroatische Präsident Franjo Tudjman dafür sorgen will, daß diese Gebiete von kroatischen Flüchtlingen aus anderen Teilen Bosniens besiedelt werden sollen. Vom Rückkehrrecht aller Vertriebenen an ihre Heimatorte, wie im jüngsten Friedensplan vorgesehen, ist bei Tudjman keine Rede mehr.

Deshalb rufen die moderaten und demokratischen politischen Führer der Kroaten in Zentralbosnien – wie auch die gesamte Opposition in Kroatien selbst – zu scharfen internationalen Maßnahmen gegen Tudjmans Politik auf. Nur internationaler Druck könne den Schaden noch begrenzen – und die Wähler in Kroatien selbst. Doch ob angesichts der staatstreuen Medien bis zu jenen die Botschaft des Protestes durchdringt, ist zweifelhaft.

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