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Wie Honecker stürzte

■ Krenz gab erstmals Interna aus dem Politbüro preis

Die Rede von Egon Krenz vor dem bisher wohl wichtigsten Plenum in der Geschichte des Zentralkomitees der SED war der Versuch, einer Partei wieder politische Handlungsfähigkeit zurückzugeben, die hinter den Ereignissen der letzten Wochen nur noch herhinkte. Mit den Worten von Krenz: „Das Stimmungsbild ist gekennzeichnet von einer bisher nicht gekannten Aufbruchstimmung. Sie hat sich zuerst an der Basis, mitten im Volk (...) geäußert.“ „Diese Volksbewegung hat den Prozeß der Überprüfung und Veränderung ausgelöst.“ Um das tiefe Mißtrauen der „Volksbewegung“ zur SED abzubauen, muß die SED zuallererst kritisch und öffentlich mit der eigenen Vergangenheit abrechnen.

Krenz hat mit seiner Rede vor dem ZK gewiß nur einen kleinen Teil dieser Aufgabe bewältigt, aber immerhin hat er in einer Offenheit über die Prozesse im Inneren der Macht gesprochen, die es in dieser Form in der SED noch nie gab: Schon „der Ansatz für den XI.Parteitag der SED“, der 1986 stattfand, beruhte „nicht auf einer realen Einschätzung der Lage“, er war „von subjektiven Wunschvorstellungen“ geprägt, deshalb wurden drängende Probleme verschleppt, „obwohl die Kreis- und Bezirksleitungen qualifizierte Informationen zur Lage übermittelten“. Die Wirtschaftslage wurde durch „manipulierte Fakten“ verschleiert, die der Apparat des ZK -Sekretärs für Wirtschaft Günter Mittag produzierte. Selbst Politbüromitglieder, die Alternativen zur herrschenden Politik vorschlugen, „wurden verdächtigt, die Gesamtpolitik der Partei in Frage zu stellen“. Im Klartext: Es wurde ihnen mit einem Karriere knick gedroht.

Die Atmosphäre im Politbüro muß sehr unangenehm gewesen sein: „Es gab Anzeichen politischer Arroganz. Entscheidungen (...) entstanden aus spontaner, oftmals persönlicher Verärgerung.“ Die Lage spitzte sich im Sommer 1989 mit der Ausreisewelle zu. Zugleich war Honecker erkrankt. Auf seinen Vorschlag wurde er seit dem 15.August von Mittag vertreten. Das Ergebnis war „an der Spitze der Partei Sprachlosigkeit“. Die Parteiführung unter Mittag hat selbst innerhalb des Politbüros die Ausreisewelle „auf feindliche Einwirkung zurückgeführt“, fiel also auf ihre eigenen Propagandalügen herein. Ende August versuchten „mehrere Mitglieder des Politbüros“, eine grundsätzliche Einschätzung der Lage durchzusetzen - ohne Erfolg. Da sich die Situation im Land immer mehr zuspitzte, ergriff schließlich - so seine eigene Darstellung - „der Genosse Egon Krenz in Absprache mit einer Reihe anderer Genossen die Initiative. Sie fand den heftigen Widerspruch des Genossen Erich Honecker. Daraufhin erfolgte im Politbüro eine zweitägige, mit aller Härte und politischer Schärfe geführte Diskussion.“ Da Honecker daraus keine Konsequenzen zog, wurden die Ersten Sekretäre der Bezirksleitungen, die dichter an den wirklichen Geschehnissen sind, hinzugezogen und „am 12.Oktober (wurde) die Ver trauensfrage aufgeworfen“. Am 17.Oktober wurde dann angeblich auf Vorschlag von Stoph - beschlossen, Honecker, Herrmann und Mittag „abzuberufen“.

ws

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