: Widerstand oder Nichtanpassung?
■ Auf einer Tagung der Evangelischen Akademie in West-Berlin wurde darüber gestritten, ob Deserteure des Zweiten Weltkriegs zum Widerstand gehören / Historiker wollen bei den Motiven für Desertion differenzieren / Historisierung abgelehnt
Vom öffiziösen Widerstandsgedenktag, dem vergangenen Freitag, 20.Juli, bis zum Sonntag fand in der Evangelischen Akademie Berlin-West eine Deserteurstagung statt. Thema der dreitägigen Veranstaltung, an der Historiker, Kirchenmänner und Zeitzeugen aus Ost und West teilnahmen: „Motive und Formen der Desertion - Gehören Deserteure zum Widerstand?“ Sollen die mehr als 35.000 Deserteure des Zweiten Weltkriegs, jahrzehntelang als „Drückeberger“ und „Vaterlandsverräter“ politisch und juristisch verfemt (und bislang nur in wenigen Städten denkmalfähig), endlich als Widerständler anerkannt werden? Grundsätzlich wurde die Frage rundherum bejaht; doch forderte der Westberliner Historiker und Desertionsspezialist Norbert Haase eine Differenzierung der Motive, „um den Widerstandsbegriff nicht aufzuweichen“. Franz J. Müller von der Stiftung „Weiße Rose“, der selbst im Widerstand aktiv war, klagte einen erweiterten Widerstandsbegriff ein. Dieser solle konstruktive und organisierte und bloße negierende Ansätze verbinden. Müller wandte sich aber gegen eine übertriebene „Historisierung“. Die Differenzierung der Motive der Desertion rief bei den anwesenden Zweiter-Weltkrieg -Deserteuren heftigen Protest hervor. Jeder der von der Fahne gegangen sei - aus welchem Grund auch immer - habe zur Abkürzung von Krieg und Naziherrschaft beigetragen, zumal jeder Deserteur sich der drohenden Todesstrafe bewußt gewesen sei. Die taz sprach mit Norbert Haase, freiem Mitarbeiter an der „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“. Haase promoviert zum Thema und hat das Buch „Deutsche Deserteure“ veröffentlicht.
taz: Sind Deserteure nun dem Widerstand zuzurechnen oder nicht?
Norbert Haase: Eindeutig ja. Allerdings muß man differenzieren. Deserteure waren Widerstandskämpfer, wo sie sich aufgrund ihres Gewissens gegen den Krieg, den sie als Verbrechen begriffen hatten, verweigert haben und versuchten, sich in der Illegalität zu entziehen und möglicherweise darüber hinaus widerständig tätig zu sein. Problematisch wird es in den Bereichen, wo Menschen erst mal eine unpolitische Motivation hatten. Die vielfältigen menschlichen Beweggründe sind anzuerkennen. Ich würde dann von Verweigerung, Nichtanpassung und punktueller Gegenwehr sprechen.
Sie wollen also einen Unterschied in der historischen und in der politischen Bewertung machen?
Wirkungsgeschichtlich kann man die Frage sehr schnell beantworten. Da ist jeder Deserteur ein Soldat weniger für den Nazi-Krieg. Da hat jeder dann den Krieg effektiv um eine kleine Spanne verkürzt - auch den Holocaust, der ja nur so lange möglich war, wie die Fronten hielten.
Wer hatte das größte Interesse am Schweigen über die Deserteure?
Da war erst einmal die Mehrheit, die mit dem Zweiten Weltkrieg ihren Frieden geschlossen hat. Die wollten nicht dran erinnert werden, daß es überhaupt die Möglichkeit gab, sich zu verweigern. Deshalb hat die Stigmatisierung als „Verräter“ nie an Wirkung verloren.
Das kam sicher überwiegend aus der rechten Ecke. Gab es auch Diskriminierung von links?
Dadurch, daß die Widerstandgeschichte sehr eingleisig beschrieben worden ist - auch in der DDR - 'daß das immer eine Geschichte des heldischen Widerstandskampfs war, gab es hüben und drüben nur wenig Differenzierungen. Kleinformen des Widerstands, die gegen Disziplin- und Gehorsamsnormen verstoßen haben, sind unter die Räder gekommen. Das kann man nicht nur in der militärstaatlichen Tradition, in Bundeswehrtraditionspflege bemängeln, das gilt auch für den Staat der DDR, seinen Antifaschismus und das ganze marxistisch doktrinäre Spektrum: Revolutionäre haben nicht zu desertieren.
Sind Deserteure als Nazi-Opfer entschädigt worden?
Nur einige wenige, die mußten akribisch nachweisen, daß sie politisch verfolgt worden sind. Da mußte man quasi belegen, das man erschossen worden ist. Ansonsten betrachtete die Nachkriegsjustiz Urteile der Nazi-Militärgerichtsbarkeit als rechtsstaatlich. Das führte dazu, daß kriegsgerichtlich Verurteilte nicht unter das Bundesentschädigungsgesetz fielen. Bis heute gibt nur wenige „Trostpflaster“ aus den Sonderfonds der Länder. Selbst bei den Rentenansprüchen werden die Zeiten, die jemand in Strafabteilungen der Wehrmacht verbracht hat, nicht als Dienstzeit anerkannt. Der linientreue Major wird gegenüber dem Deserteur und Verweigerer noch nachträglich belohnt.
Wie beurteilen Sie die heutigen Totalverweigerer? Dürfen die sich auf die Weltkriegsdeserteure berufen?
Diese schnellen Analogien sind mir einfach viel zu kurz gedacht. Nach dem Motto: Wir sind die Deserteure von morgen. Ich bin aber natürlich fern davon, Geschichte als einen abgeschlossenen Prozeß zu betrachten. Gerade in der Behandlung von Verweigerern und Totalverweigerern wird das deutlich. In der Wehrgesetzgebung ziehen sich Begriffe und Gesetzestexte aus der Nazizeit über die Nachkriegszeit bis in die Gegenwart. Die bundesrepublikanische Wehrgesetzgebung wurde von ehemaligen Wehrmacht-Juristen erarbeitet, die Kenntnis der Rechtsprechung des Reichskriegsgerichts galt als Arbeitsgrundlage. Hier muß noch viel getan werden. Es sollte zu einer Entkriminalisierung der Totalverweigerung kommen. Natürlich sollen sich die Totalverweigerer auf die pazifistischen Traditionen berufen, von Suttner bis Tucholsky. Aber es geht nicht, einfach zu sagen, ich bin wie der Deserteur, der durch die Straflager im Emsland oder das Wehrmachtsgefängnis in Torgau gegangen ist.
Was bedeutet die kommende Remilitarisierung von West-Berlin für jemand, der sich mit Desertion und Widerstand beschäftigt?
Ich habe Probleme damit, daß sich eine gesamtdeutsche Armee, die sich bislang nicht der eigenen Tradition ausreichend gestellt hat, jetzt möglicherweise mit Wachen am Schinkel-Denkmal aufzieht - dem Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus. Ich befürchte, daß die Militärs versuchen werden, sich aus der verbrecherischen Tradition der Wehrmacht zu lösen, indem sie einfach einen „Schlußstrich“ ziehen, wie Kohl und Gorbatschow im Kaukasus.
Interview: kotte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen