Widerstand gegen Verkehrsprojekt : Keine Autobahn für Hafenhooligans
Eine neue Autobahn droht Moorburg zu teilen. Doch die BewohnerInnen halten zusammen und wehren sich.
von DAVID JORAM und SAMBA GUEYE
Hamburg hat viel. Vor allem an Prunk, Eleganz und Wohlstand. An der Elbe werden Träume wahr, pulsiert das Leben, geht es ab. Mit der Elbphilharmonie erhält die Millionenmetropole noch mehr Aufmerksamkeit; StadtplanerInnen und PolitikerInnen signalisieren mit dem Projekt, dass sie im Konzert der global cities mitspielen können.
Als ökonomische Grundlage für all die guten Aussichten dient der Hafen, er ist die Lebensader der Hansestadt, ein Segen, finden die meisten AnwohnerInnen. Und er soll weiter wachsen, hofft nicht nur die Wirtschaft. Mitwachsen solle auch die Infrastruktur rund um den Hafen, fordert die Politik. Es gehe darum, die betroffenen Gebiete verkehrstechnisch zu entlasten, Ausweichmöglichkeiten zu schaffen, marode Straßen und Brücken zu sanieren oder eben neue zu bauen.
Allerdings: nicht alle sind damit einverstanden, es regt sich Widerstand. Insbesondere in Moorburg, jenem südlich der Elbe gelegenen 700 Jahre alten Dorf, das von der neuen Autobahn A26-Ost durchschnitten werden soll. Hier halten sie die Autobahnpläne – die Route soll in 50 Meter Höhe an Moorburg vorbeiführen – für den Totengräber des knapp 800-Einwohner-Ortes. Ob das so ist, wollte taz.meinland herausfinden und hat deshalb Moorburg im Gebiet der Süderelbe besucht.
Bürgerbeteiligung als Mogelpackung
Wir wollten wissen: Was steckt hinter dem Widerstand des „gallischen Dorfs an der Elbe?“ Im kleinen, aber kultigen Saal des elbdeich e.V. haben sich 62 Menschen eingefunden. Wie sie zu den Autobahnplänen der A26-Ost stehen (diese sehen vor, die A1 mit der A7 zu verbinden) wird schnell klar. Schwarz-weiße Totenköpfe, umschlungen von Straßen, blicken von Plakaten herab, auf einem steht: „Zukunftsplan statt Autobahn A26 – Verkehrsdialog in Hamburg: JETZT!“
Die Blicke der ZuschauerInnen richten sich auf die tiefen Sofas und Sessel, wo taz.nord-Redakteur Gernot Knödler mit sechs Gästen über die Pläne für Moorburg und den Protest diskutiert.
Malte Siegert (Leiter Umweltpolitik NABU Hamburg), Klaus Baumgardt (Förderkreis Rettet die Elbe e.V.), Jochen Klein (Bürgerinitiative „Stopp A26-Ost“) und Stephan Zins (Bündnis „Verkehrswende Hamburg“) kritisieren die Pläne – Stephan Deys (Amt für Verkehr und Straßenwesen) und Peter Pfeffermann (Projektleiter A26-Ost der Bau-GmbH DEGES) werben um Verständnis.
Ärgerlich für die AnwohnerInnen, besser für den Rest?
Sie tun dies leidenschaftlich und nachdrücklich. Das Problem ist nur, dass nicht eine einzige Stimme im Publikum ihnen folgen mag. Viel zu spät, so wird moniert, hätte die Politik die BürgerInnen mit einbezogen. Jetzt gebe es zwar ein Bürgerbeteiligungsverfahren, doch das sei eine Mogelpackung. Weil die entscheidende Frage – benötigt das Dorf eine 9,7 Kilometer lange Autobahn zur Entlastung des Hafenverkehrs oder nicht? – längst entschieden sei: „Es geht nicht mehr um das ob, sondern um das wie“, gibt selbst Pfeffermann zu, der den Sinn und Zweck der Autobahn deshalb umso stärker verteidigen muss.
Sein Mitstreiter Deys argumentiert: „Fernstraßen fallen unter das Bundesrecht. An dieses Gesetz sind wir gebunden.“ Soweit die rechtliche Ebene – und sonst? Der Hafen, der dann besser angebunden sei, profitiere von der Lösung und der Ost-West-Verkehr ebenfalls, da es eine durchgehende Verbindung gebe, die die städtischen Straßen entlaste, so Deys. Dass die geplante Strecke mitten durch Moorburg gehen wird und der Verkehr – zumindest akustisch und visuell – näher rückt, sei für die betroffenen AnwohnerInnen zwar ärgerlich, für den „Wirtschafts- und Erledigungsverkehr“ aber eine bessere Lösung.
Pfeffermann verweist zusätzlich darauf, dass viele der maroden Verkehrswege sowieso saniert werden müssten. Seine Sorge, zugespitzt, ist: Falls dann keine Ersatz- und Ergänzungslösung vorhanden ist, kommt es zum Verkehrschaos. Ergo müsse der Verkehr rechtzeitig auf die künftig ausgebaute A26 verlagert werden.
Leben im Hafenerweiterungsgebiet
Dagegen argumentiert eine Stimme aus dem Publikum: „Eine der wenigen Straßen in Wilhelmsburg, die nicht desolat ist, ist die Haupthafenroute.“ Eben jene also, die entlastet werden soll. Auch ökologische Bedenken werden geäußert: Demnach ziehe jede neue Autobahn den Verkehr wie ein Staubsauger an. Die A26-Ost sei daher unsinnig.
Da Moorburg offiziell allerdings kein reines Wohn-, sondern ein Hafenerweiterungsgebiet ist, spielen natürlich wirtschaftliche Interessen eine zentrale Rolle. Und genau das ärgert die BürgerInnen, während Deys und Pfeffermann predigen, dass die Autobahn für sie auch ein Segen sei. „Wir tun das für Sie“, erklärt Deys. Schließlich bildeten sich vor Moorburg regelmäßig 35 bis 40 Kilometer lange Staus. Doch alles was er erntet, sind ärgerliche Blicke und höhnische Zwischenrufe.
Kritisch beurteilt die Contra-Fraktion die von staatlicher Seite aus gemachten Verkehrsprognosen für Moorburg, die nicht dem aktuellen Stand entsprächen. Sie sehen vor, dass aus den derzeit täglich 5.500 durch Moorburg fahrenden Autos im Jahr 2030 wohl 9.800 würden. „In den letzten zehn Jahren ist der Verkehr hier nicht angewachsen“, entgegnet ein Mann im Publikum.
Vermitteln, was nicht zu vermitteln ist
Und auch die Waren, die am Hafen umgeschlagen werden, würden keineswegs mehr, wie so oft behauptet. Davon träume zwar Hamburgs Senat, die Realität sei aber eine andere. Sprich: Weil am Hafen nicht mehr umgeschlagen wird, muss er auch nicht ausgebaut werden – weshalb wiederum auch keine neuen Infrastrukturprojekte bemüht werden müssen.
Ohnehin sei ein Umdenken vonnöten, plädiert Klaus Baumgardt vom Elbe-Förderkreis. „Die Hafenerweiterung unterliegt reinem Ideologiedenken des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts. Die Hafenhooligans sagen nämlich: Wird der Hafen nicht erweitert, steigt Hamburg aus der Hafen-Weltliga in die Regionalliga ab.“ Er ergänzt mit ironischem Unterton: „In der Regionalliga ist Kopenhagen. Die sind so arm, die können sich keine Autos mehr leisten, die müssen Rad fahren.“
Baumgardt resümiert: „Man muss über den Hafenentwicklungsplan politisch diskutieren.“ Bloß: Den Einladungen von taz.meinland sind Hamburgs PolitikerInnen nicht gefolgt – stattdessen müssen die Fachspezialisten Pfeffermann und Deys vermitteln, was dem Publikum unvermittelbar ist: Dass nämlich gesamtverkehrsplanerische Aspekte, die finanziell vorteilhaft erscheinen und auf Bundesebene diskutiert werden, Vorfahrt gegenüber lokalen Interessen haben.
Ein neuer Feind schweißt zusammen
Nur finden die KritikerInnen eben, dass die Prognose zur Gesamtplanung längst veraltet sei. Entsprechend gereizt ist die Stimmung. „Der Protest ist und bleibt laut, weil die Autobahn-Planung alternativlos ist. Diese Debatte wird nicht ergebnisoffen geführt“, kritisiert eine Frau, die sich – wie viele ihrer MitstreiterInnen – so fühlt, als müsse sie sich wie der kleine Gallier Asterix vor dem großen römischen Heer behaupten. Und alle fragen sich hier: Spinnen Hamburgs PolitikerInnen eigentlich? Jedenfalls schweißt sie die wachsende existentielle Bedrohung des Dorfs zusammen.
Eine A26-Gegnerin, die seit neun Jahren in Moorburg lebt und schon bei den Protesten gegen das Kohlekraftwerk dabei war, untermauert den Solidaritätsgedanken. Sie sagt: „Eine Vision wäre, dieses Dorf, in dem die Alt- und Neumoorburger zusammengewachsen sind, umzusiedeln. Und zwar an einen Ort, der genauso schön ist, der genauso viel von Grün umgeben ist. Und zwar alle gemeinsam.“
Irgendwie typisch für Moorburg scheint, dass die Frau auch den Betreiber des Kraftwerks mit einschließt. Der einstige Gesinnungsfeind kämpfe mittlerweile ebenfalls gegen die Autobahnpläne an – zusammen mit den anderen Moorburgern. Wie dieser vorgeblich hoffnungslose Kampf weitergeht, hängt auch ein bisschen vom Zaubertrankvorrat ab: Der besteht in Moorburg aus einer intakten Gemeinschaft – und die hält vorerst stand. Autobahnpläne hin oder her.