Widerstand gegen Medienindustrie: Staatsanwalt verweigert Filesharer-Jagd
Die Medienindustrie nutzt Massenanzeigen, um gegen Nutzer von Tauschbörsen vorzugehen. Ein Wuppertaler Staatsanwalt lehnt diese Ermittlungen ab - und wurde prompt selbst angezeigt.

Tauschbörsen im Internet, über die man illegal an Kinofilme, Fernsehsendungen und Musik gelangen kann, sind längst zum Massenphänomen geworden - Millionen Netznutzer in aller Welt versorgen sich darüber mit Unterhaltungsware, ohne etwas dafür zu bezahlen. Die Medienindustrie, mit entsprechenden Verlusten konfrontiert, geht immer schärfer gegen diese Form der Alltagspiraterie vor.
Eines der wichtigsten Instrumente dabei sind Anzeigen: Gleich massenweise geben die Konzerne deshalb von Online-Detekteien erfasste IP-Adressen von Tauschbörsennutzern an Staatsanwaltschaften weiter, damit diese darüber Namen und Adressen der Delinquenten bei deren Internet-Providern ermitteln. Viele dieser Verfahren werden allerdings eingestellt, weil es sich beispielsweise um Bagatelldelikte handelt. Die Medienindustrie hat trotzdem etwas von der Anzeigenflut: Über die Einsicht in die Ermittlungsakten gelangen die von ihre beauftragten Anwälte dennoch an die Daten der Täter und können so versuchen, zumindest zivilrechtlich Schadenersatz geltend zu machen. Das bedeutet für die Betroffenen womöglich Tausende Euro Buße plus Anwaltskosten - auch das ein abschreckendes Mittel gegen Online-Piraten.
Der Chef der Wuppertaler Staatsanwaltschaft, Helmut Schoß, wollte an diesem Spiel, das inzwischen komplette Abteilungen vieler Strafverfolgungsbehörden in ganz Deutschland beschäftigt, nicht mehr teilnehmen. Schoß und seine Kollegen sehen sich von der Porno-, Computerspiel- und Musikindustrie missbraucht und lehnen deshalb seit dem Frühjahr Ermittlungen gegen Tauschbörsennutzer ab. Im März sagte der zuständige Pressedezernent gegenüber der Wuppertaler Rundschau, die Aufnahme von Ermittlungen seien schon deshalb unverhältnismäßig, da die Tatverdächtigen in den Tauschbörsen "keinerlei finanzielle Interessen" verfolgten.
Es gehe der Industrie bei ihren Anzeigen deshalb nicht um eine Bestrafung der Tatverdächtigen, "sondern um die Ermittlung der Nutzernamen, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen oder nachträgliche Abmahnungen zu erteilen". Dabei kommt es zu riesigen Fallzahlen: Allein in den ersten beiden Monaten des Jahres 2008 sollen rund 2000 IP-Adressen bei den Wuppertalern eingegangen sein, bei denen die Ermittler tätig werden sollten. Die sehen zumindest im Herunterladen zwar eine Verletzung des Urheberrechts, aber keine gravierende Straftat und wollen deshalb nicht mehr tätig werden.
Nachdem die neue Linie der Wuppertaler Staatsanwälte bekannt geworden war, hagelte es Beschwerden bei der übergeordneten Behörde, der in Düsseldorf beheimateten Generalstaatsanwaltschaft. Wie die Neue Rhein Zeitung am Montag meldete, gingen sogar mehrere Anzeigen unter anderem wegen Strafvereitelung im Amt und Rechtsbeugung gegen Schoß ein. Entsprechende Ermittlungen wurden am Dienstag bestätigt.
Allerdings scheint sich der leitende Oberstaatsanwalt keine Sorgen machen zu müssen: Es sehe nach einer Einstellung des Verfahrens aus, sagte ein Sprecher. Der Grund: Es könne zwar abweichende Rechtsmeinungen geben, doch ein strafrechtlicher Vorwurf erhärte sich daraus wohl nicht. Die Wuppertaler sind unterdessen nicht die einzigen Ermittler, die angesichts der Anzeigenflut mit der weißen Fahne wedeln: Auch in zwei anderen Bundesländern will man den Medienkonzernen entweder Akteneinsicht verweigern oder in vielen Fällen nicht mehr ermitteln.
Tauschbörsenfreunde sollten sich allerdings nicht zu früh freuen. Der Bundesrat winkte am vergangenen Freitag ein neues Gesetz durch, dass die zivilrechtliche Durchsetzung von Ansprüchen geistigen Eigentums erleichtern soll. Damit müssen Internet-Provider Adressdaten herausrücken, wenn die Urheberrechtsverletzungen "in gewerblichem Ausmaß" erfolgt sind. Die Formulierung ist laut Rechtsexperten derart schwammig gewählt, dass erst noch Gerichte entscheiden müssen, in welchem Maß davon durchschnittliche Tauschbörsennutzer betroffen sind. Und die Medienindustrie hat gegen die Piraten noch einen weiteren Pfeil im Köcher: In verschiedenen europäischen Ländern wie Frankreich und Großbritannien sind Gesetzesvorschläge auf dem Tisch, nach denen notorische Online-Tauscher mit der Kappung ihres Internet-Anschlusses durch den Provider rechnen müssen.
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