What's hot, what's not: ...und danke für den Fisch
■ Über Geschmack hier und anderswo, transatlantischen Datenverkehr und seine Tücken, ein Kleid, das Leute macht, und weitere Anlässe, ein neues Leben zu beginnen: Adieu, Hollywood!
Guten Tach, lieber Leser! Im Morgengrauen auch Du dem Leben frühreif zum Fraße vorgeworfen? Ein Seufzer. Es ist sechs Uhr – Vögel piepen, Fische springen, Kastanien bollern auf Pflastersteine. Eigentlich und passenderweis sollte ich, Kind des Waldes, brummen wie ein zänkischer Bär. Ist doch die letzte Ansprache an Dich, geschätzter Augenverdreher, so wundersam wie ärgerlich auf transatlantischen Datenbahnen abhanden gekommen. Oder auch nur abgebogen, nach Asien vielleicht – ich denke da einfach so, ohne Grund, an Tokio.
Ich weilte nämlich längere Zeit in den Weiten der Neuen Welt sowie Kanada und berichtete anläßlich der jährlichen Wahl im People Magazine über die zehn am besten und die zehn am schlechtesten gekleideten darstellenden Berühmtheiten. Verschollen ist sie, die handschriftlich niedergeworfene Ansprache. Nicht entschwunden ist mein therapiebedürftiger Schmerz über ihr Thema: Zu den zehn am besten angezogenen Menschen der Welt zählen Minnie Driver, Gwyneth Paltrow, Puff Daddy und Cameron Diaz – Personen, die ich allesamt ob ihrer netten Langweiligkeit verachte. Wer sagte doch gleich richtig, daß nur kreativ sein kann, wer ungehorsam ist? Konrad Adenauer? Bruce Willis? Gerhard Schröder? Joseph Beuys? Und ist der Schauspielerberuf überhaupt ein kreativer? Irre ich vielleicht, ohne es einzugestehen, seit Jahren? Diese mißliche Kleider-Wahl also und ein weiteres tragisches Ereignis haben mich bewogen, Dir, Leser, an diesem Orte „Adieu“ zu sagen. Es hat keinen Zweck. Ich habe alles, sogar mein Zweitbestes, gegeben.
Das zweite tragische Ereignis in meinem Leben besteht darin, daß Veronika „Möpse“ Ferres die Hauptrolle in einem Spielfilm über die Goethe-Gattin Christiane Vulpius übernimmt. Auch ich bin ein entsprechend ausgestattetes Weib, auch ich ziehe mich hin und wieder an, Leser, und keine Liste muß mich dazu nötigen, aber spiele ich deswegen gleich eine Goethe-Gattin? Bin ich nicht auch so zufrieden?
Ich sehe sie praktisch schon vor mir, die blonde Veronika: ganz Dekolleté und Blumenkorb, ganz anmutiges – nach Eheschließung mit dem alten Sack von Geheimrat – Spitzenhäubchen und schwerer Atem, was den Busen sich vorteilhaft heben und senken läßt. Kürzlich, beim Studium des aktuellen „Quelle“-Katalogs, wogte mir Demoiselle Ferres als Top-Model entgegen. Auch ich ziehe mich an, wie gesagt, aber zeige ich meine Köstlichkeiten etwa bei „Quelle“? Gerade trage ich ein rotes Negligé (jawohl, liebe „Quelle“: konkurrierendes französisches Versandhaus), das allerliebst mit zwei kleinen Hunden bestickt ist, nasse Haare sowie einen weiß-blauen Bademantel aus DDR-Produktion, unverwüstlich, wunderschön – Vorkriegsware gewissermaßen. Sobald ich mich Dir, o mein Leser, anvertraut habe, schlüpfe ich in ein weißes (Kontrast!) T-Shirt und eine blaue Latzhose von Gap, denn in Vermont, USA, wartet ein schönes und erfülltes Dasein als Apfelfarmer auf mich.
Nie wieder Cameron Diaz auf die Grinsebacke, nie wieder Matt Damon auf die Frosch-Gusche küssen müssen! Nie wieder so tun, als würde ich gut von Robert Redford denken! Nie, nie, nie mehr Steven Spielberg grüßen müssen, wenn ich ihn beim Gang zur Kaufhalle auf der Straße treffe, was leider ständig der Fall ist! („Hallo Steven, altes Haus...“) Tschüssi, Hollywood, und danke auch für den Fisch! Ach, ich liebe es, mein neues Leben! Adieu denn, Leser! Einmal muß ein Ende sein. Nur Jodie, meine Freundin, die Kanaille, darf mich mit ihrem Balg von Schreihals besuchen. Und selbst das nur manchmal. Anke Westphal
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