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Archiv-Artikel

Wetten auf Musharrafs Zukunft

Nach der Absetzung des Obersten Richters in Pakistan ist der Spagat des Militärmachthabers zwischen Demokratie und Diktatur unglaubwürdig geworden. Viele fragen sich, wie lange die Armee, stärkste politische Kraft im Land, noch mitmacht

VON BERNARD IMHASLY

Im Presseclub von Karatschi haben Journalisten begonnen, Wetten darüber abzuschließen, wie lange Pakistans Präsident Musharraf wohl noch am Ruder bleibt. Der Brauch hat Tradition, denn in den 90er-Jahren war man nie sicher, wie lange sich die eine oder andere Zivilregierung noch halten würde. Während der acht Jahre, seit General Musharraf Premierminister Nawaz ins Exil geschickt hatte, wollte niemand gegen den Machthaber Wetten eingehen, so sicher schien er im Sattel zu sitzen.

Der General hatte sich bei seiner Machtübernahme im Oktober 1999 als CEO Pakistans bezeichnet, der den politischen Korruptionsstall reinigen, die Wirtschaft wieder auf Erfolgskurs bringen und eine „echte Demokratie“ einführen werde. Er war eine Zeit lang populär, nicht zuletzt, weil die westliche Welt ihn schnitt – wegen seines Putschs, wegen der Atomversuche und wegen seiner Unterstützung der Talibanregierung in Kabul.

Doch nach dem 11. September machte Musharraf eine dramatische Kehrtwende und gelobte Zusammenarbeit im Anti-Terror-Krieg. Und als er selber Attentätern beinahe zum Opfer fiel, hatte er für die USA die Feuertaufe bestanden. Er pries sich als Repräsentant eines „aufgeklärten Islam“ und als Erbe Atatürks an, die einheimischen Islamisten umwarb er mit politischen Ämtern, während er seine Gegner Benazir Bhutto und Nawaz Sharif mit der Drohung von Korruptionsprozessen von Pakistan fernhielt. Mit Shaukat Aziz holte er einen Technokraten als Premierminister ins Land, dem er bei der Sanierung des Staatshaushalts den Rücken freihielt.

Seinen demokratischen Güteausweis lieferte er bei Lokalwahlen und einer Dezentralisierung nach unten. Erst später, als er sich 2002 zum Präsidenten in Uniform wählen ließ, wurde klar, dass die Gemeindevorsteher oft von den Militärs ausgewählt worden waren und sicherstellten, dass Musharraf 98 Prozent der Stimmen erhielt. Doch der ständige Spagat von Diktatur und Demokratie verlief nicht reibungslos. Parlament und Oberstes Gericht rechtfertigten Ende 2003 durch eine Verfassungsänderung den Putsch. Das Gegenversprechen, die Uniform abzulegen, war vergessen. Musharraf betrachtete Demokratie weiterhin als einen samtenen Handschuh, mit dem er den Stock schwingen konnte.

Die Suspendierung des Obersten Richters Iftikhar Chaudhry im März zeigte ein weiteres Mal, dass dem politisch abwägenden Präsidenten immer öfter der Haudegen in den Weg kommt, der mit einem Säbelstreich Klarheit schafft. Nun hatte Musharraf plötzlich den Punkt erreicht, wo der Verlust an Glaubwürdigkeit in offene Proteste umschlug. Und unglücklicherweise für Musharraf war Chaudhry bereit, den Handschuh aufzunehmen. Er münzte seine Verteidigung zu einem Kampf um die Erhaltung von Rechtsstaat und Verfassungstreue um. Und es war Pech für den Präsidenten, dass just im gleichen Augenblick im Herzen der Hauptstadt Islamschülerinnen die Fahne des Dschihad schwangen. Vor dieser Herausforderung der Staatsgewalt zog sich Musharraf zurück.

Doch wie wirksam die politische Opposition gegen den Präsidenten ist, wird sich zeigen, ob er auch künftig den alten AAA-Test für jeden Politiker in Pakistan besteht: Hat er die Unterstützung Allahs, der Armee und Amerikas? Allah scheint sich von ihm abgewandt zu haben, wenn man sein fehlendes Gespür in den letzten Monaten als Indikator nimmt. Derzeit scheinen Amerika und die Armee jedoch weiter hinter ihm zu stehen. Doch das Militär ist seit sechzig Jahren auch deshalb stärkste politische Kraft im Land, weil es neben dem Stockschwingen immer auch um Legitimität bemüht war. Nach Phasen des Eingreifens kehrte die Armee daher jeweils in die Kasernen zurück und beeinflusste das Geschehen aus dem Hintergrund. Sie schickte ihre Repräsentanten in Pension, sobald deren Ablaufdatum erreicht war.

Die Wetteinsätze dafür, dass dieser Zeitpunkt erreicht ist, sind rasch gestiegen, und die Zusammenstöße in Karatschi vor einer Woche haben sie noch einmal erhöht. Dennoch will sich Musharraf auf seinem Thron einrichten. Am vergangenen Dienstag erklärte er, die Präsidentschaftswahl werde zwischen Mitte September und Mitte Oktober stattfinden und er sei der einzige Kandidat. Und die Frage, ob Benazir Bhutto und Nawaz Sharif für die darauf folgende Parlamentswahl zurückkehren würden, beantwortete er mit einem klaren Nein. Doch immer mehr Beobachter schauen auf die Generäle in Musharrafs Rücken und fragen sich, wie ungemütlich es diesen wohl wird, ewig auf Bajonettspitzen zu sitzen.