Wettbewerb auf der Berlinale: Mechanik aus dem Drehbuchhandbuch
Viel wollen und sich um nichts richtig kümmern: die Filme im Wettbewerb der Berlinale.
Zu den Stärken der Berlinale gehört eine Programmschiene nicht: der Wettbewerb. Das hat bedauerlicherweise Tradition. In den Vordergrund schieben sich immer wieder Filme, die sich eines wichtigen, bedeutsamen Themas annehmen. Was freilich nicht bedeutet, dass sie diesem Thema gerecht würden. Radikalität, Wagemut, lart pour lart, neue kinematografische Formen - all das findet sich nur vereinzelt.
Es ist in diesem Jahr nicht viel besser - jedenfalls bisher nicht. Den Höhepunkt bildet "Alle Anderen" der jungen Berliner Regisseurin Maren Ade. Er ist schön, gerade weil er nicht viel will. Ein Paar in der Krise porträtieren, ist alles, was er tut, und das macht er mit einem bemerkenswerten Sinn für die Subtexte von Dialogen und Gesten. Obwohl er sich an keiner Stelle politisch gebärdet, erzählt er etwas davon, wie Gesellschaftliches und Privates ineinanderfließen.
Daneben steht so vieles, was overscripted und overproduced ist. Overscripted heißt: Das Drehbuch will zu viel. Das ist in "Sturm" von Hans-Christian Schmid so, in "London River" von Rachid Bouchareb und auch in "Little Soldier" von Annette K. Olesen. Das Drehbuch zu "Little Soldier" stammt von Kim Fupz Aakeson, der Film handelt von einer Soldatin, die aus dem Irakkrieg zurückkehrt und sich nun nicht mehr zurechtfindet. Das Nachbeben dessen zu beobachten, was an Krieg und Krise in der Welt ist, ist ein smarter Ansatz. Doch statt genau hinzuschauen, tischen Autorin und Regisseurin ihrem Publikum enorm viel auf: Menschenhandel, eine Vater-Tochter-Beziehung, Prostitution, eine Beinahe-Liebesgeschichte und dann noch reichlich außergewöhnliche Sexualpraktiken - wer so viel in einen Film hineintut, muss sich um nichts davon richtig kümmern.
Ähnlich liegt der Fall von "London River". Drehbuchhandbücher schreiben vor, dass eine Figur eine Entwicklung durchlaufen muss. Wie mechanisch das geschehen kann, zeigt Brenda Blethyn in der Rolle der Mutter eines Terroropfers. Vom rassistischen Landei mausert sie sich zu einer toleranten Frau. Dumm nur, dass man das von Anfang an gewusst hat.
Und overproduced? Wenn sich mehrere Fernsehsender, Filmstiftungen, aufs Weltkino spezialisierte Fördergremien und dazu noch Produzenten aus Köln, Buenos Aires und Amsterdam zusammentun, muss zwar nicht zwangsläufig etwas Schlechtes dabei herauskommen. "Gigante" von Adrián Biniez, ein Resultat solch weltumspannender Anstrengung, ist ein passabler Film mit wunderbaren Slapsticksequenzen. Nur: Wo diese Art der Filmproduktion modellhaft wird - nicht nur im Weltkino, sondern auch bei Filmen wie "Der Vorleser" oder "The International" -, kann man sichergehen, dass so etwas wie eine gute Idee, ein radikaler Ansatz im Zusammenspiel der Förderbestimmungen, Drehbuchlektoren und Fernsehredakteure verloren geht.
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