Offensichtlich ist also die erlebte Realität des medialen Umgangs des Themas Hartz IV seitens Herrn Westwerwelle, ungleich dem, wie Millionen von Bürger sie in diesem Land wahrgenommen haben!?
Bleibt dennoch die Frage unbeantwortet - 14 Tage (unsinnige) mediale Diskussion hin oder her - was ist eigentlich das Problem, mit dem sich die Politik jetzt zielgerichtet auseinandersetzen müßte?
Im Kern der Diskussion müßte doch endlich einmal festgestellt werden, worauf sich denn nun die Hartz IV Problematik gründet!?- Nur offensichtlich berauscht man sich derzeit seitens der Politik immer noch an vermeintlichen Arbeitslosenzahlen, die mit der Realität des Arbeitsmarktes nichts mehr zu tun haben und Grundlage einer fehlgeleiteten Diskussion über die Ursachen sind!?
Zu den Fakten:
Die derzeitige Arbeitslosenzahl ist offensichtlich vornehmlich ausschließlich der Tatsache geschuldet, dass seit Einführung der Hartz- Gesetzgebung u.a. durch Veränderung der Zählweise und der hierfür geltenden gesetzlichen Rahmenbedingungen, die offiziellen Arbeitslosenzahlen statistisch politisch für die Außendarstellung „optimiert“ wurden!
Das lässt sich sehr einfach an der „geringfügigen Beschäftigung“ (400 Euro Jobs) deutlich machen.- Bis zum 31.03.2003 war der 400 Euro Job gesetzlich auf max. 15 Wochenstunden begrenzt.
Arbeitslos im Sinne der Statistik ist der, der arbeitslos gemeldet ist und weniger als 15 Wochenstunden arbeitet!
D.h., damit war bis zum 31.03.2003 zwangsläufig auch jeder als arbeitslos gemeldeter geringfügig Beschäftigter als „Arbeitsloser“ in der offiziellen Statistik enthalten!
Mit der geänderten gesetzlichen Regelung aus dem 2. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ( Hartz II genannt), entfiel die Begrenzung der Wochenstunden; d.h., auch jedem geringfügig Beschäftigten war es erlaubt mehr als 15 Wochenstunden zu arbeiten!
Von Juni 2003 bis Juni 2009 hat allein die Anzahl der geringfügig Beschäftigten von 5,533 Millionen auf 7,192 Millionen zugenommen.
D.h., dass damit ab dem 01.04.2003 zwangsläufig auch jeder als arbeitslos gemeldete, mit einer ausschließlich geringfügigen Beschäftigung und mehr als 15 Wochenstunden, zwangsläufig als „Arbeitsloser“ aus der offiziellen Statistik herausfiel!
Ein weiterer Aspekt scheint sich der allgemeinen politischen Aufmerksamkeit bislang auch entzogen zu haben:
Während im Juni 2003 noch 22.657.574 Sozialversicherungspflichtige einer Vollzeitbeschäftigung nachgingen, waren dieses im Juni 2009 nur noch 22.165.271 Vollzeitbeschäftigte!
Im Zeitraum von Juni 2003 bis Juni 2009 hat sich aber demgegenüber die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigten von 4.287.928 auf 5.201.759 erhöht!
D.h. aber wiederum auch, dass die wachsende Zahl der arbeitslos gemeldeten, die einer Teilzeitbeschäftigung - mit mehr als 15 Wochenstunden - nachgingen, dazu geführt hat, dass diese aus der offiziellen Statistik als „Arbeitslose“ herausfallen sind; also auch durch den höheren Anteil an Teilzeitbeschäftigten, an der Gesamtheit der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, die Arbeitslosenzahl statistisch gesenkt wurde!
Das läßt die Schlussfolgerung als begründet erscheinen, dass offensichtlich sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigungen durch Teilzeitbeschäftigungen wie auch geringfügige Beschäftigung substituiert worden sind; respektive neue Arbeitsplätze vornehmlich im Bereich der Teilzeit- und geringfügigen Beschäftigung geschaffen wurden! (Dieses hat im Ergebnis zu einer eine (vermutlich sogar politisch ungewollten!?) strukturellen Veränderung im Arbeitsmarkt geführt, die fatale Konsequenzen für das Lohngefüge mit sich gebracht hat und damit auch in der Lage war das Beitragsaufkommen der Sozialkassen direkt negativ zu beeinflussen!)
Hierauf weist auch Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit aus Februar 2010, Seite 8 hin: „Ohne den anhaltenden Zuwachs der Teilzeitbeschäftigung wäre der Abbau der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung deutlicher ausgefallen. Nach einer ersten Schätzung für den Dezember dürfte die sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung im Vorjahresvergleich um rund 270.000 zu- und die sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigung um rund 360.000 abgenommen haben. Der Rückgang der Vollzeitbeschäftigung hat die Arbeitslosenzahl steigen lassen, während sich der Anstieg der Teilzeitbeschäftigung auch aus der Stillen Reserve gespeist haben dürfte.“
Im Zeitraum Januar 2007 (leider ist keine weiter zurückliegende Statistik verfügbar) waren 5.349.569 Bürger Hartz IV Leistungsbezieher. Im Juni 2009 nur noch 4.922.731.
Demgegenüber ist im gleichen Zeitraum der Anteil derer, die als erwerbsfähige Hilfebedürftige (ALG II) einer Tätigkeit nachgehen von 20,4 % (gleich 1.220.066) auf 26,9 % (gleich 1.322.764) gestiegen!
Wobei die Anzahl der erwerbsfähige Hilfebedürftigen in geringfügiger Beschäftigung (Mini-Jobs) im gleichen Zeitraum von 557.581 auf 757.021 gestiegen ist; die von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Midi-Jobs von 191.211 auf 244.719!
Das läßt zum einen den Schluss zu, dass durch den Wegfall der 15 Stunden Begrenzung bei geringfügiger Beschäftigung ein nicht unerheblicher Teil der Arbeitslosen aus der Statistik als Arbeitsloser herausgefallen ist; und zum anderen, durch die erweiterte Hinzuverdientsmöglichkeiten bei Hartz IV Empfängern, ein Überangebot an Arbeitskräften generiert wurde, das die Lohndumpingspirale erheblich beschleunigt hat!
Letzteres hat nicht nur einer Umverteilung „von unten nach oben“ Vorschub geleistet hat, sondern auch dazu geführt hat, dass durch die immer weiter auseinanderklaffende Lohnschere einerseits und durch die strukturellen Veränderungen im Arbeitsmarkt andrerseits, ein adäquater Beitrag zu den Sozialkassen nicht mehr möglich ist!
Durch die Deckelung über die Beitragsbemessungsgrenzen sowohl zu der Kranken-/Pflege/-Arbeitslosenversicherung/- Rentenversicherung und der Tatsache, das aus dem Niedriglohnbereich kein angemessener Beitrag zu dem Sozialsystem mehr geleistet werden kann, entsteht somit zwangsläufig der Effekt. das eine immer höher werdende Bezuschussung aus dem Bundeshaushalt nötig ist, um das Sozialsystem abzusichern!
Und man muss (oder besser, darf!) kein Politiker sein, um zu erkennen, dass nur durch ein konsequentes Schließen der Lohnschere und eine Angemessenheit der Einkommen, über alle Einkommensbereiche hinweg, wieder eine Kalibrierung der Beitragsaufkommen über adäquate Beitragsbemessungsgrenzen möglich sein wird!
Eine Diskussion vor der sich offensichtlich die Politik fürchtet „wie der Teufel das Weihwasser“, die aber unumgänglich sein wird um das Problem überhaupt in den Griff zu bekommen!
Mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (in Kraft seit 1. Januar 2004) wurde § 16 des Sozialgesetzbuches III ergänzt. Es wurde klar gestellt, dass Teilnehmer in Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik prinzipiell nicht als arbeitslos gelten. Dies entspricht grundsätzlich der schon bisher angewandten Praxis, z.B. bei Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Eine Änderung ergibt sich allein für Teilnehmer an Eignungsfeststellungs- und Trainingsmaßnahmen, die bis Ende 2003 - aus leistungsrechtlichen Gründen - auch während des Maßnahmebesuches als Arbeitslose gezählt wurden.
Dennoch bleibt festzustellen, dass allein durch die Tatsache, dass sich arbeitslose Menschen in „ausgewählten Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik“ der Bundesagentur für Arbeit (z.B. 300.000 Ein-Euro-Jobber) befinden, rund 1.580.659 von ihnen (lt. Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit vom Februar 2010) statistisch nicht als arbeitslose gelten!
D.h. aber auch, es hat faktisch (real) nicht 1,5 Millionen Arbeitslose weniger seit dem Jahr 2004 gegeben, wie am 25.02.2010 von Herrn Westerwelle in einem Artikel in der Welt („Hartz IV und die Folgen, Ohne Mittelschicht gibt es keinen Sozialstaat“) behauptet!- Sondern es hat sich (wie dargestellt) die Anzahl der „Arbeitslosen“ nur überwiegend statistisch verringert!
Bleibt also die Frage offen, über wie viele „reale“ Arbeitslose wir eigentlich reden müßten, wenn alle politisch motivierte statistische Rausrechnerei einmal beiseite gelassen würde und der Öffentlichkeit ein klares Bild der Realität der tatsächlichen Größenordnung der ungeschminkten Arbeitslosigkeit gegeben würde?!
Oder besser noch - um der Politik nicht die Möglichkeit zu geben, sich in der Sache wieder aus der Verantwortung stehlen zu können - sollte man sich konsequenterweise dem Thema aus Sicht des „notwendigen Arbeitsangebotes“ nähern!
D.h. anders ausgedrückt: Welches Arbeitsangebot müßte in dieser Volkswirtschaft geschaffen werden, um all den erwerbsfähigen Bürger die
- arbeitslos sind und Leistungen nach ALG I oder II beziehen müssen
- die arbeitssuchend sind, ohne soziale Transfers beziehen zu können (nicht Anspruchsberechtigte!)
- die arbeiten und dennoch auf soziale Transfers angewiesen sind (Aufstocker)
und/ oder
- denen die unfreiwillig einer Teilzeit- oder geringfügigen Beschäftigung nachgehen (aber eine Vollzeittätigkeit suchen!)
angemessen entlohnte Arbeitsplätze anbieten zu können?
Das ist die Kernfrage die es durch die Politik zu beantworten ist! Und das ist die eigentliche Herausforderung die es durch die Politik(er) zu bewältigen gilt!
Aber offensichtlich verweigert sich die Politik dieser Erkenntnis, führt weiterhin eine Scheindiskussion, die lediglich an den Symptome rumdoktert und die Kernfrage über die Ursache des „Problems Hartz IV“ unbeantwortet läßt;- schlimmer noch, die Kernfrage nicht einmal öffentlich zur Diskussion stellt!
Denn nicht Hartz IV ist das eigentliche Problem, sondern das Fehlen von Millionen von Arbeitsplätzen in diesem Land und die Angemessenheit der Entlohnung!
Es bleibt daher nur festzustellen: Entweder hat ein Teil der politischen Diskutanten (und medialen politischen Selbstvermarkter) keine Ahnung von den realen Verhältnissen am Arbeitsmarkt oder sie sind sich der Zusammenhänge schon bewußt und versuchen politisch motiviert ein Bild der Arbeitsmarktsituation zu zeichnen, das die eigentliche Problematik und den notwendigen politischen Handlungsbedarf verschleiert!?
Und ich schließe für mich inzwischen nicht mehr aus, dass letzteres dadurch motiviert sein könnte, dass man nicht bereit ist sich dem eigenen politischen Versagen der Vergangenheit zu stellen und andrerseits versucht, sich dem zwingend notwendigen politischem Handlungsbedarf zu entziehen!
Über die Beseitigung dieser Ursachen müßte jetzt eigentlich zielgerichtet beschäftigungspolitisch argumentativ gerungen werden!
Alles andere ist nur wieder eine der inzwischen die deutsche Politik prägenden politischen Luftnummern, die nichts bewirken und dieses Land keinen Deut voran bringen!
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