Wert und Freiheit im Theater: Das Geld, das keiner haben will
Passt gut zur Wirtschaftskrise: In "Von morgens bis mitternachts" im Theater Leipzig wird mit Geld um sich geworfen, als ob es kein Gefühl für den Wert mehr gäbe.
![](https://taz.de/picture/227367/14/geldintueten.jpg)
Ein Mann dreht durch. So lässt sich in aller Kürze die Handlung von Georg Kaisers "Von morgens bis mitternachts" zusammenfassen. 1912 schrieb Kaiser diese Tragikomödie um einen Kassierer, der seine Bank um 60.000 Mark erleichtert und dann voll lebenshungrigem Übermut durch die Lande zieht. 1917 wurde sie uraufgeführt und heute, ein paar Wirtschaftskrisen und Weltkriege später, nimmt sich die Regisseurin Christiane Pohle erneut des Stoffes an.
Was können 60.000 Mark in einer Zeit, in der Milliarden von Euro anscheinend nicht mehr helfen können, überhaupt noch erzählen? Schon in der ersten Szene wird mit Geld um sich geworfen, den ganzen Klumpatsch aufzuheben, die Mühe macht sich niemand. Als ob es kein Gefühl für den Wert mehr gäbe.
Die Bühne von Maria-Alice Bahra ist ein hoch aufgebocktes Speerholz-T, das weit in den Zuschauerraum hineinragt und auf das die Akteure des Abends immer wieder klettern müssen. Guido Lambrecht haust als Kassierer in einem kleinen Kassen- oder Wärterhäuschen am Ende der Bühne. Er kommuniziert nur verzerrt über ein Mikro aus seiner Box heraus und existiert monadengleich als Rädchen im Getriebe. Der Diebstahl der 60.000 Mark ist ein Ausbruch aus dieser festgeschriebenen Existenz: Mit einem Stuhl schlägt er ein Loch durch die Wand der Kabine, ist frei. Oder was er eben dafür hält.
Vom ersten Moment an spielt Lambrecht kraftvoll und expressiv. Die erste Bekanntschaft seines Kassierers draußen ist eine italienische Dame (Birgit Unterweger), die mit ihrem Sohn (Günther Harder) in der Stadt ist. Der möchte eine Paradiesdarstellung von Cranach kaufen, während seine Mutter das Bild zerkratzt, es mit Popel beschmiert und darauf pisst. Doch der Sohn beschwört die Heiligkeit der Kunst. Wenn am Ende Lambrecht und Unterweger auf der Bühne herumtollen und dabei Bilder von Adam und Eva zitieren, schließt sich diese Klammer der Verweise auf die Kunst.
Lambrecht-Unterweger-Harder bilden ein Trio Infernale und das Kraftzentrum dieser Aufführung. Harder mutiert dabei im Laufe des Abends zu dem Autor Georg Kaiser selbst, wenn er aus dessen Schreiben an Verleger Kiepenheuer zitiert; später kommt er als Peter Licht in der Gegenwart an. Dazu gibt es von Ernst Surberg elektronische Orgel in verschiedenen Verzerrungsstufen.
Das gesamte Ensemble spielt diesen Abend mit einer massiven Körperlichkeit und stellt sich allen Vorstellungen der Regie. Da wird nach vorne gedonnert, Texteile minutenlang moduliert wiederholt, es gibt Choreinsätze und einmal stellt Mathias Hummitzsch die ganze Bühne mit Plastikstühlen voll, damit Lambrecht sie danach wieder alle abräumen kann. Dazwischen klagt Kaiser/ Harder über seine Geldsorgen und wird dabei von Sara Kittelmann, die als Kostümbildnerin das Groteske gegen das Edle ausspielt, in ein rotes Mephisto-Kostümchen gesteckt.
Doch trotz des großen Aufwands: Dabei vermittelt sich zu wenig Haltung zum Stoff. Der Abend mäandriert zwischen der Frage des Geldes, der Sucht des Menschen nach immer größeren Reizen und den biographischen Fragmenten um Georg Kaiser. Es fehlt ein Rhythmus, der die Teile zusammenbringt, und eine Strategie, in der sie zueinander positioniert werden.
Stattdessen ziehen die Regieeinfälle die Erzählung in die Länge. Nötig wäre mehr Handwerk und weniger Kunst. Über die Länge von gut zwei Stunden zerrieselt langsam und bisweilen ermüdend, was die Inszenierung zunächst an interessanten Möglichkeiten aufschienen ließ.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!